Seit 2020 arbeitet Faris Shehabi als Referent für Soziale Hochwasserhilfen, Soziale Hilfen und Förderwesen hauptberuflich beim DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz in Mainz. Im vorigen Blogbeitrag ging es darum, wie er in Syrien zum Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS) kam.
Innerhalb weniger Tage musste ich im Jahr 2013 die Entscheidung treffen, aus Syrien zu fliehen. Allein die Vorstellung war ein Albtraum, doch meine eigene Sicherheit war akut bedroht. In eines der Nachbarländer zu fliehen war aufgrund von Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen nicht möglich. Auch das sichere Reisen in ein Land der Wahl oder die Bewegungsfreiheit sind Privilegien, die nur den Besitzern bestimmter Reisepässe vorbehalten sind.
Schließlich wagten wir die Überfahrt mit einem Boot über das Mittelmeer nach Italien, zusammen mit meinem Bruder, einigen Freunden und Dutzenden anderen, darunter auch Kollegen aus dem humanitären Bereich. Nach neun Tagen auf dem Wasser wurden wir gerettet, dank einer Begegnung, die mein Bruder in Solferino beim internationalen Rotkreuz-Fackellauf hatte.
Drei Monate zuvor hatte mein Bruder zum Glück ein Visum für Italien erhalten, um an diesem Ereignis teilzunehmen. Dort traf er Chiara, eine Kollegin aus dem lokalen Komitee des Italienischen Roten Kreuzes in Brugherio. Sie hatten Telefonnummern und Social-Media-Kontakte ausgetauscht, wie es bei solchen Veranstaltungen üblich ist. Nach zahlreichen Versuchen ist es uns vom Boot aus gelungen, Chiara zu erreichen, die daraufhin die Rettung mobilisiert hat. Bis heute verbindet uns eine Freundschaft mit Chiara und ihrer Familie.
Ich bin der Meinung, dass wir als internationale Bewegung in Sachen Seenotrettung mehr machen können, um unserem Grundsatz der Menschlichkeit, "menschliches Leiden überall und jederzeit zu verhüten und zu lindern" gerecht zu werden. Die Rotkreuz-Föderation beteiligt sich mit einem medizinischen Team auf einem zivilen Rettungsschiff. Ein Kollege aus meinem DRK-Ortsverein war bereits auf diesem Schiff aktiv, und viele DRKler würden sich ebenfalls gerne in diesem Bereich engagieren.
Im vorigen Blogbeitrag ging es darum, wie ich zum Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS) kam. In meinem ersten Leben in Syrien, nach Beginn des bewaffneten Konfliktes und vor der Belagerung des Flüchtlingslagers Jarmuk, wurde ich dort schließlich im Alter von 21 Jahren Koordinator im Bereich der Humanitären Hilfe für Binnengeflüchtete (Internally displaced persons/ IDPs). Zahlreiche Binnengeflüchtete hatten in Syrien zwischenzeitlich Zuflucht in angemieteten Wohnungen oder in Kindergärten und Schulen gefunden. Viele mussten nun plötzlich wieder fliehen, mit nichts als der Kleidung, die sie trugen. Der PRCS übernahm die Federführung bei der Koordination der Hilfsgüter in den Unterkünften, darunter Lebensmittel und Wasser, Sanitär- und Hygienemaßnahmen (WASH), in Zusammenarbeit mit lokalen NGOs.
Das Thema Zugang, oder „access“ war eine besondere Herausforderung: Wenn zwar ausreichend Güter und Hilfe vorhanden sind, diese jedoch nur schwer oder gar nicht zu den Menschen gelangen. Wenn das eigentlich Selbstverständliche, der schnelle Hilfseinsatz, absichtlich blockiert wird.
In Jarmuk beispielsweise kamen aufgrund der Belagerung keine Güter oder medizinische Versorgung mehr hinein. Leider verstarben deshalb über 160 Menschen aufgrund fehlender Nahrung und medizinischer Versorgung. Die noch verbliebenen Kollegen aus dem Haupt- und Ehrenamt waren stark unterbesetzt und hatten kaum noch Materialien, um den Menschen helfen zu können.
Schlimm war zudem der Mangel an Ressourcen, der vor ein paar Jahren bereits spürbar war und sich, trotz der gestiegenen Bedarfe nach dem Erdbeben letztes Jahr, noch verstärkt hat. So leiden die Betroffenen nun doppelt.
Seit ich in Deutschland angekommen war, wollte ich mich wieder ehrenamtlich in der Rotkreuz-Bewegung engagieren. Doch der Zugang zum Ehrenamt war am Anfang nicht so einfach. Meine Anfrage landete bei meinen jetzigen Kollegen vom Landesverband Rheinland-Pfalz. Deren Frage nach dem ersten Kennenlernen war: "Gerne Ehrenamt! Aber warum möchtest du dich nicht auch hauptamtlich bewerben? Es gäbe geeignete Stellen für dein Profil."
Über den Landesverband wurde der Kontakt zum DRK-Ortsverein Mainz-Hechtsheim hergestellt. Mit dessen Bereitschaftsleitung hatte ich Erstgespräche, wie sie vor der Aufnahme üblich sind. Es passte - aber leider funktionierte es aus einem anderen Grund nicht: Denn dieser Ortsverein war damals noch in einer Kaserne ansässig. Ich durfte aber das Gelände aufgrund Staatsangehörigkeitsbestimmungen nicht betreten. Für mich und die OV-Bereitschaftsleitung war das enttäuschend. Das Ehrenamt in Deutschland könnte sich hier noch stärker öffnen und verschiedene Faktoren wie z.B. Herkunft und persönliche Hintergründe sowie körperliche Einschränkungen berücksichtigen.
Also suchte ich mir zunächst etwas anderes. Bevor die Corona-Pandemie in Deutschland richtig Fahrt aufnahm, stand ich in Kontakt mit Freundinnen und Freunden vom Italienischen Roten Kreuz in Brugherio, die mir von der katastrophalen Lage dort und von ihrer Arbeit in der Krise berichteten. Ich kontaktierte den Ortsverein Mainspitze (Kreisverband Groß-Gerau/ Hessen) und wurde dort schnell aufgenommen. So wollte ich aktiv sein können, falls sich eine ähnliche Situation auch in Deutschland abzeichnen sollte. Unser Kreisverband war übrigens einer der ersten in Deutschland (tatsächlich der zweite nach dem DRK-Kreisverband Tübingen im Rahmen des "Tübinger Wegs"), der kostenlose Schnelltests durchführte. Ich erinnere mich noch genau an den ersten positiven Fall, den ich getestet habe – es hat mir Gänsehaut bereitet! Anschließend ging es weiter mit dem Sanitätsdienst im Impfzentrum.
Nach meinem Umzug nach Mainz entschied ich mich dann aus praktischen Gründen, dem DRK auf der anderen Rheinseite beizutreten, das näher lag. 2022 wurde ich also Mitglied des Ortsvereins Mainz-Hechtsheim, nachdem er aus der besagten Kaserne umgezogen war. Dort engagiere ich mich vor allem in den klassischen Tätigkeitsfeldern wie dem Sanitätsdienst, den Blutspendediensten und dem Katastrophenschutz.
Seit vergangenem Jahr beschäftigen wir uns im Ortsverein mit dem Bereich Obdachlosenhilfe. Obdachlose Menschen leben unter äußerst schwierigen Bedingungen auf der Straße, insbesondere während der eisigen Winter- und der heißesten Sommermonate. Hinzu kommen gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung. Ich lebe im Bahnhofsviertel, wo ich die Schwierigkeiten dieser Menschen aus nächster Nähe erlebe. Der OV-Vorstand hat mein Konzept für das Pilotprojekt "#HinSchauen" angenommen. Dabei handelt es sich um einen Kältebus für obdachlose Menschen in Mainz. Von Dezember bis März fuhren wir mit unserem Mannschafts-Transportbus durch die Stadt zu Orten, an denen sie sich aufhalten. Dabei verteilten wir z.B. warme Mahlzeiten, Snackpakete, Warmgetränke, Schlafsäcke, Isomatten, Jacken und Hygieneartikel. Wir sind derzeit dabei, das Pilotprojekt zu evaluieren und zu schauen, wie wir den Bereich Obdachlosenhilfe langfristig im Ortsverein etablieren können.
Einerseits freut es mich, dass das Projekt auf große Resonanz gestoßen ist und wir helfen können. Andererseits ist es erschütternd, dass Menschen überhaupt auf diese Hilfe angewiesen sind. Während der Gespräche mit den Betroffenen war es immer wieder schmerzlich zu erfahren, wie Menschen innerhalb weniger Monate von einem stabilen Leben in die Obdachlosigkeit gerutscht sind. Viele von ihnen hatten dabei mit finanziellen, sozialen, familiären und/oder psychischen Krisen zu kämpfen, die sie vom gesicherten Lebensweg auf die Straße geführt haben.
Mit dem Kältebus leisten wir nur einen kleinen Beitrag zur Linderung des Leidens der betroffenen Menschen und der Symptome eines größeren Problems, dessen Ursachen politisch und gesamtgesellschaftlich bekämpft werden müssen.