Als uns die Nachricht der Katastrophe erreichte, war ich bei meiner Familie in München, um Weihnachten zu feiern. Natürlich erinnere ich mich an diese unbegreiflichen Bilder im Fernsehen – das vergisst man nicht. Alle Kolleginnen und Kollegen, die in Berlin Weihnachten feierten, wurden direkt ins DRK-Generalsekretariat gerufen. Auch ich habe mich auf den Weg gemacht und war ab dem 27. Dezember im Einsatz.
Ich glaube, vorher oder nachher habe ich niemals eine Katastrophe erlebt, bei der ich so viele Bilder gesehen und so intensiv alles im Fernsehen und Internet verfolgt habe. Von Anfang an war klar, dass es sich um eine Katastrophe gigantischen Ausmaßes handelte.
Jede Katastrophe hat ihre Besonderheiten. Das DRK-Generalsekretariat ist aber vorbereitet, auch damals: Das Führungs- und Lagezentrum, in dem alle Informationen zusammenlaufen und Kräfte gesteuert werden, wurde hochgefahren. Und schon am 27. Dezember nahm ein Bürgertelefon am DRK-Suchdienst-Standort in München die Arbeit auf. Es gab eine unglaubliche Bereitschaft aus dem Mitarbeiterkreis und von Ehrenamtlichen, über diese Hotline rund um die Uhr für die besorgten Angehörigen da zu sein.
Das Besondere bei dieser Katastrophe war, dass viele deutsche Urlauber aufgrund der Ferien- und Weihnachtszeit in die betroffenen Gebiete gereist waren. Wir traten in Kontakt mit Reiseveranstaltern, dem Auswärtigen Amt, unseren Partnergesellschaften, den nationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften in den betroffenen Gebieten sowie dem IKRK. So konnten wir rasch eine vernetzte Hilfe für die Angehörigen aufbauen.
Die Rolle der Suchdienst-Leitstelle war klar: Unsere Aufgabe war es, den Suchdiensteinsatz bundesweit zu steuern. Wir haben alle Informationen aufgearbeitet und an die Landes- und Kreisverbände sowie an den Standort in München weitergegeben, wo die Anrufe eingingen. Gleichzeitig haben wir eng mit dem Auswärtigen Amt zusammengearbeitet, das ebenfalls ein Krisentelefon geschaltet hatte. Täglich haben wir neue Informationen ausgetauscht und koordiniert.
In den ersten Tagen und Wochen nach der Katastrophe meldeten sich 4.500 Angehörige, darunter auch Nachbarn und Arbeitgeber, die sich Sorgen machten, weil sie keine Nachricht von den Betroffenen erhielten. Wir haben etwa 1.000 Suchanfragen von Familienangehörigen aufgenommen, wovon wir in den ersten zwei Wochen rund 250 klären konnten. Die verbleibenden 750 Suchanfragen mussten langfristig bearbeitet werden.
Der Austauschbedarf war sehr hoch: Die Betroffenen der Katastrophe, die Angehörigen, die nicht wussten, was mit ihren Liebsten passiert ist, oder Personen, die irgendwann erfahren haben, dass die Angehörigen nicht überlebt haben – sie haben sich zusammengeschlossen, um sich gegenseitig beizustehen, auch mit Notfallseelsorgern zusammen. Füreinander da zu sein, war für sie sehr wichtig.
Die Mitarbeitenden in den Suchdienst-Beratungsstellen in den DRK-Landes- und Kreisverbänden sowie diejenigen am Bürgertelefon nahmen die Suchanfragen auf. Sie wurden zentral bearbeitet, ins Ausland zu unseren Partnerorganisationen weitergeleitet und von dort koordiniert. Ab Februar 2005 übernahm das Bundeskriminalamt die Steuerung vor Ort, insbesondere die Identifizierung der sterblichen Überreste.
In dieser Zeit war die Zusammenarbeit mit dem internationalen Suchdienst-Netzwerk der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften von unschätzbarem Wert. Jede Nationale Rotkreuz-Gesellschaft hat eine Suchdienststruktur. In Thailand, wo viele deutsche Urlauber betroffen waren, standen wir mit den Mitarbeitenden des Thailändischen Roten Kreuzes und des IKRK in Kontakt.
Die Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen des DRK-Suchdienstes haben großen Einsatz gezeigt, um die Angehörigen zu unterstützen. Es ist unglaublich wichtig, dass es Organisationen gibt, die in solchen Situationen da sind, um den Angehörigen zu helfen und sie zu begleiten.
Eine wichtige Lehre aus dieser Katastrophe war die Einrichtung eines Suchdienst-Expertenpools. Er umfasst heute 50 Mitglieder, die bei großen Einsätzen innerhalb von 24 bis 48 Stunden aktiv werden können. Das gibt uns die Möglichkeit, schnell und effizient auf Krisen zu reagieren.
Eine weitere Erkenntnis betrifft den Umgang mit Fotos von Vermissten. Es ist wichtig, dass Suchanfragen über Bilder auf sicheren Plattformen gesteuert werden, um die Verbreitung unkontrollierter und langfristig schädlicher Inhalte im Internet zu verhindern. Schließlich waren 2004 bereits viele Menschen mit Handys ausgestattet. Es gingen sehr, sehr viele Amateur-Videos und Fotos um die Welt. Man konnte im Internet – auch schon in sozialen Medien – fast alles sehen, was man sich nur vorstellen kann. Das Ganze lief ziemlich unkontrolliert. Und das betraf eben auch die Suche.
Das macht uns Sorgen: Aus Sicht des DRK-Suchdienstes ist es sehr wichtig, dass die Suche – auch über Bilder – gesteuert und auf einer sicheren Plattform stattfindet. Die Informationen kann man sonst irgendwann nicht mehr einfangen. Sie wabern jahrelang durchs Netz und niemand weiß, ob noch Hilfe gebraucht wird oder nicht.