· Demokratische Republik Kongo

DR Kongo: Für das IKRK zu Besuch im Ndosho-Kran­ken­haus

Motorradambulanzen, Rotkreuzhelfende und Geflüchtete in der DR Kongo

Ich war Feuer und Flamme, als das IKRK im April 2024 eine Kommu­ni­ka­ti­ons­de­le­gierte für die Demokratische Republik Kongo suchte. Ich kannte West-, Nord- und Ostafrika, doch im Kongo war ich nie. Nichts hatte mich auf dieses schöne, grüne und seenreiche Land vorbereitet.

Warum der Einsatz für das IKRK – warum jetzt?

Bei all der wichtigen Schreib­tisch­ar­beit in Berlin, wo wir unsere internationale Hilfe planen und koordinieren, ist es auch wichtig, die eigentliche operative Arbeit vor Ort in den Krisenregionen zu kennen und zu würdigen. Das war schon so, als ich vor 30 Jahren beim DRK in Bonn als Pres­se­re­fe­rentin anfing, und dann später nach Äthiopien, Rumänien und Afghanistan an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) ausgeliehen wurde.  

Ich war Feuer und Flamme, als das IKRK im April 2024 eine(n) Kommu­ni­ka­ti­ons­de­le­gierte(n) für Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik (DR) Kongo suchte. Ein sechswöchiger Kurzeinsatz im Rahmen von Sofort- und Nothilfe sollte es werden – die Familie gab mir vier.  

Nach einem Impfmarathon, der Tropen­taug­lich­keits­un­ter­su­chung und der Überwindung meiner notorischen Flugangst saß ich im Flieger nach Frankfurt, hechtete von Terminal A zu B und stieg in die Nachtmaschine von Ethiopian Airlines nach Addis Abeba und der Hauptstadt von Nord-Kivu, Goma.  

Ich kannte West-, Nord- und Ostafrika, doch im Kongo war ich nie. Nichts hatte mich auf dieses schöne, grüne und seenreiche Land vorbereitet. Landschaftlich war es ein Einsatz wie in der Schweiz: mit Bergen und Seen wie Meere so groß. Inhaltlich war es ein Einsatz in einem vom Krieg zerrütteten Land, mit Menschen, die all ihren Besitz verloren haben und in deren leerem Blick man zu oft vergeblich nach Resilienz sucht. Ich fand eine eingekesselte Stadt voller inter­na­ti­o­naler Helfer und mit einem Heer von Vertriebenen, Soldaten und Polizisten, von bettelnden Frauen und Kindern und von Motorrollern. Es gibt nur Menschen- oder Maschi­nen­ge­räu­sche. Kein einziges Tier, keine Hunde, Katzen, Esel. Die Stadt quillt über, wie ein Hefeteig, den niemand mehr im Blick hatte. Das war mein erster Eindruck. Erste Eindrücke verfestigen sich oder sie verändern sich völlig. Der erste Eindruck blieb. 

Ein Teil des Ndosho-Krankenhauses wird vom IKRK belegt und ist nur für Patienten geöffnet, die im Rahmen von bewaffneten Konflikten verletzt wurden.

Das Ndosho-Kran­ken­haus: Ein Teil behandelt nur im Konflikt Verwun­dete

Das Ndosho-Krankenhaus (benannt nach dem Stadtteil Ndosho im Westen von Goma) ist ein Krankenhaus für Allge­mein­me­dizin, betrieben von der Kirche der Baptis­ten­ge­meinde im Zentrum Afrikas (CBCA).  

Im vom IKRK  belegten Teil des Krankenhauses werden ausschließlich Kriegs­ver­wun­dete und Zivilisten behandelt, die im Rahmen von Konflikten verletzt wurden. Insgesamt 60 Mitarbeitende sowie zwei chirurgische Teams versorgen in Ndosho kostenlos derart Verwundete. Die Triage findet bereits am Eingang statt. Aufgenommen werden nur Patienten, deren Verletzungen aus einem bewaffneten Konflikt stammen und nicht älter als 30 Tage sind. 

Freiwillige des CRDRC im Ndosho-Krankenhaus
Mama Odette erklärt den Patienten am Krankenbett im Ndosho-Krankenhaus die Rotkreuz-Prinzipien. Sie hofft auch auf die Dankbarkeit der im Konflikt Verwundeten und ihre zukünftige Unterstützung bei der Verbreitung unserer wichtigen Arbeit.

Wie Mama Odette neue Frei­wil­lige gewinnt und schult

Für die Verbreitung der Rotkreuz-Grundsätze und des Humanitären Völkerrechts im Ndosho-Krankenhaus ist Mama Odette von der Kommu­ni­ka­ti­ons­ab­tei­lung des IKRK in Goma zuständig. Man hofft, die Kriegs­ver­letzten für die Prinzipien der Rotkreuz-Bewegung zu gewinnen und sie als dankbare Multi­pli­ka­toren des Rotkreuz­ge­dan­kens zu entlassen.  

Mama Odette und die von ihr selbst ausgebildeten fünf Freiwilligen des CRRDC gehen jeden Mittwoch an die Krankenbetten in Ndosho und jeden Freitag ins Prothe­sen­zen­trum. Mit Hilfe von „Bilderboxen“, einer Sammlung von Zeichnungen auf Leinwand, erklärt das Team die Aktivitäten des IKRK, den Unterschied zwischen Rotem Kreuz und IKRK, die Idee der Rotkreuz-Grundsätze und was beim Humanitären Völkerrecht unbedingt zu beachten ist.

Laut und fröhlich läuft die Schulung ab. Mama Odette fragt diejenigen ab, die schon einmal teilgenommen haben, und klatscht emphatisch, wenn die Antwort richtig war. Bei falscher Antwort schaut sie entrüstet, und die anderen im Krankensaal lachen hämisch.

Am liebsten ist Mama Odette in den Zelten, wo viele neue Patienten liegen. Denn in diesen Menschen sieht sie das Potenzial und die Möglichkeit, in Zukunft das Schlimmste zu verhindern. Alle müssen mitmachen, nur die inten­siv­me­di­zi­nisch Betreuten werden geschont.

Unge­wiss­heit für Christine und ihre verletzte zwei­jäh­rige Tochter

Christine und ihre zweijährige Tochter befinden sich seit fünf Tagen im Krankenzelt Nr. 20. Das kleine Mädchen wurde von einer verirrten Kugel getroffen, als Christine, ihr Mann, ihr ältester Sohn und ihre Schwester auf dem Weg in ein Nachbardorf zwischen die Fronten verschiedener Konflikt­par­teien.gerieten.  

Während bewaffnete Gruppen ihren Mann und ihren Sohn verschleppten, ließ man Christine einfach mit ihrer blutenden Tochter auf dem Rücken gehen. Aber ihre Schwester war plötzlich verschwunden. „Ich konnte nicht nach ihr suchen“, sagt die verzweifelte Frau, „was wäre aus meiner Tochter geworden?“

Christine hat drei Tage gebraucht, um nach Ndosho zu gelangen und ist froh, dass die Kleine überlebt hat und von den Ärzten gut versorgt wurde. Aber sie hat nun den gesamten Rest ihrer Familie verloren und fürchtet sich davor, in ihr Dorf zurückzukehren. Dort besaß sie ein Haus und Felder, die sie bereits für die Aussaat vorbereitet hatte. Sie fragt sich, was damit passierte, wo ihr Mann, ihr Sohn und ihre Schwester sind, und ob sie überhaupt noch leben.

Das Rote Kreuz hilft in einigen Regionen mit Motorrad-Ambu­lanz­fahr­zeugen

Die Motorradambulanzen schließen eine wichtige Lücke zur Versorgung von Menschen in schwer erreichbaren und durch bewaffnete Konflikte benachteiligte Regionen. Sie werden vom IKRK finanziert und vom Roten Kreuz der DR Kongo (CRRDC) betrieben.

Die 14-jährige Marie-Antoinette belegt ein Bett neben Christines Tochter. Ihr wurde ein Bein amputiert und sie ist schon länger hier. Sie hatte sich einer der bewaffneten Gruppen angeschlossen und dabei ihr Bein verloren. „Es war schwierig, aus den Bergen hierher zu kommen, und für mein Bein hat es zu lange gedauert.“  Wäre Marie-Antoinette in Süd-Kivu verletzt worden, hätte sie mit einem der Motorrad-Ambu­lanz­fahr­zeuge schneller behandelt und verlegt werden können, die vom IKRK finanziert und vom Roten Kreuz der DR Kongo (CRRDC) betrieben werden.  

In Konflikt­ge­bieten gibt es oft keine Ersthelfer, kein Rettungswesen und außerdem schwierige Stra­ßen­be­din­gungen. Doch in Süd-Kivu ist derzeit ein Frei­wil­li­gen­team des CRRDC mit speziellen Motorrad-Ambulanzen unterwegs, bestehend aus 15 Freiwilligen und vier Ambulanz-Motorrädern. Dank der Präsenz, des Engagements und der Akzeptanz des lokalen Roten Kreuzes bei der Bevölkerung kann so Erste Hilfe zu den Verletzten gelangen. Neben der Sofort­ver­sor­gung ist  damit auch der Transport der Verletzten ins nächstgelegene Krankenhaus möglich. Es ist geplant, das gleiche System auch in Nord-Kivu einzurichten

David ist freiwilliger Patientenbetreuer des Roten Kreuzes und kümmert sich in 10-Stunden-Schichten um die Patienten des Ndosho-Krankenhauses. Für Mahlzeiten und Körperpflege beispielsweise sind sonst die Angehörigen zuständig.

Frei­wil­lige Pati­en­ten­be­treuer über­nehmen wichtige Pfle­ge­auf­gaben

Das IKRK und das lokale Rote Kreuz arbeiten in Ndosho eng zusammen. Wenn z.B. kein Fami­li­en­mit­glied sich kümmern kann, werden auch hier die Freiwilligen der nationalen Rotkreuz­ge­sell­schaft (CRRDC) als Pati­en­ten­be­treuer eingesetzt, ausgebildet durch das IKRK. David ist seit vier Jahren Pati­en­ten­be­treuer des CRRDC. Er und 11 weitere Rotkreuz-Freiwillige arbeiten 10 Stunden pro Tag oder Nacht, dreimal pro Woche.   Seine Aufgaben sind vielfältig: Er wäscht die Verletzten und reinigt sie nach dem Toilettengang, den er begleitet. Er gibt ihnen zu essen und zu trinken, wenn sie es nicht selbst tun können, überwacht die Medi­ka­men­ten­ein­nahme und wäscht ihre Bettwäsche und persönliche Kleidung – allein nach dem Maß der Not  – hier gibt es keinen Unterschied.

Zwischen 30 und 50 Verwundete werden regelmäßig von zwei Pati­en­ten­be­treuern umsorgt. „Es ist eine harte, aber lohnende Arbeit. Ich stelle mir immer vor, dass es auch ein Mitglied meiner Familie sein könnte, das Hilfe braucht und niemanden hat, der sich kümmert.“

Die Pati­en­ten­be­treuer sind nur eine der Gruppen von Freiwilligen des CRRDC. Es gibt auch Freiwillige, die sich für Kinderschutz, Fami­li­en­zu­sam­men­füh­rung, die Verbreitung des Rotkreuz­ge­dan­kens und seiner Prinzipien, Gemeindearbeit und vieles andere einsetzen. Die meiste Arbeit wird von Ehrenamtlichen gemacht, vom Pati­en­ten­be­treuer bis zur Leitung der Zweigstelle.  Sie erhalten dafür nur eine Aufwands­ent­schä­di­gung.

Das IKRK in der Demokratischen Republik Kongo ist meist der Akteur, der als erstes in oder nach der Krise ein Konfliktgebiet betritt und die betroffene Bevölkerung unterstützt. Doch die Rotkreuz­be­we­gung umfasst viel mehr. Nur durch die nachhaltige Unterstützung unserer lokalen Rotkreuz-Schwes­ter­ge­sell­schaften und der Freiwilligen wie Mama Odette oder David, mit dem Ziel einer langfristigen Stabilisierung, kann es eine nachhaltige Verbesserung für die Menschen dort geben.  

Text und Fotos: Julie von Stülpnagel

Hinter­gründe der huma­ni­tären Kata­strophe in der Demo­kra­ti­schen Republik Kongo

Im Flüchtlingscamp Lushagala in Nord-KIvu leben viele Familien unter präkären hygienischen Bedingungen. Das Rote Kreuz hilft z.B. mit sauberem Wasser.

Der Krieg in Ostkongo ist derzeit eine der größten humanitären Katastrophen der Welt mit rund sieben Millionen Binnen­ge­flüch­teten. Allein in und um die Metropole Goma leben 1,5 Millionen Binnen­ge­flüch­tete in Notun­ter­künften. Nach Angaben der Vereinten Nationen (https://www.wfp.org/countries/democratic-republic-congo) sind mehr als 23 Millionen Menschen von Ernäh­rungs­un­si­cher­heit betroffen.

Rund um die Präsi­dent­schafts­wahlen Ende 2023 hat sich die humanitäre Lage in der DR Kongo aufgrund zunehmender bewaffneter Ausein­an­der­set­zungen und im Osten des Landes dramatisch verschlechtert. In der dortigen Region Nord-Kivu gab es zivile Tote und Verletzte und es kam zu massiven Bevöl­ke­rungs­be­we­gungen. Die Region ist reich an Bodenschätzen wie Gold, Diamanten und vor allem Coltan, das für die Herstellung von Mobiltelefonen gebraucht wird.

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