Die 54-Jährige ist spezialisiert auf Hygiene und Seuchenvorsorge und auf Erste-Hilfe-Trainings in Konflikt- und Krisensituationen. Auch kannte sie die Länder und Leute der der Region schon von früheren Reisen. Hier schildert sie bewegende Momente, die sie mit den Menschen vor Ort erlebt hat.
In der Ukraine und in Moldau war ich fünf Wochen im Rahmen des Ambulanz-Programms des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), bei dem es vor allem um Krankentransporte von vulnerablen Personen ging. Unsere Teams bestanden aus deutschen und israelischen, aber auch finnischen, kanadischen, estnischen und österreichischen Rettungskräften an vier Stützpunkten in und außerhalb der Ukraine. Wir evakuierten Patientinnen und Patienten mit schweren Erkrankungen, Verletzungen oder Behinderungen aus den umkämpften Gebieten in sicherere Landesteile und über die Grenze nach Moldau.
Die Krankentransporte führten uns auch durch Gebiete entlang der Kontaktlinie, wo wir die Lebensrealität der betroffenen Menschen mitbekamen, militärische Straßensperren passierten, Schützengräben oder Schäden von Bombardements sahen. Oft hat man dabei ein mulmiges Gefühl.
Die Betroffenen, die wir in unseren Fahrzeugen transportierten, teilten oft vertrauensvoll ihre Sorgen und Ängste mit uns. Aufgrund der Schwere des Einsatzes war es gut, dass wir Freiwilligen zur Vorbereitung, vor Ort und auch nach dem Einsatz durchgängig auch selbst ein psychologisches Betreuungsangebot hatten.
Diese Begegnungen beschäftigen einen noch lange, so zum Beispiel die mit einem älteren Paar bei einem Krankentransport in der Südostukraine. Die Frau hatte einen Schlaganfall erlitten und erzählte: „Der Schlaganfall passierte eine Woche nach Ausbruch des Krieges. Schaut euch mal das Foto hier mit der großen Granate in unserem Garten an – da haben wir entschieden mit zwei Taschen zu fliehen, trotz und wegen des Schlaganfalls, der vor Ort bei uns ohnehin nicht behandelt werden konnte – das Krankenhaus war voll mit vielen Verletzten.“ Unvergessen ist auch ein spastisch gelähmter 50-Jähriger, der mit seiner dementen, fast verstummten Mutter floh.
Zwischendurch streckte mich Corona nieder und ich war erst einmal nicht einsatzfähig. Manchmal mussten wir auch wegen der Sicherheitslage in der Unterkunft abwarten, bis wieder Einsätze gefahren werden konnten. Leerlauf ertragen, wenn man dafür brennt zu helfen, ist eine Herausforderung – in diesen Situationen aktiv andere Tätigkeiten anzugehen, hilft mir das zu bewältigen.
In der Hauptstadt Moldaus, Chisinau, war ich daher z.B. vertretungsweise in die Koordination des Einsatzes eingebunden und kümmerte mich um Finanzen, Personalkoordination, Sicherheitseinweisungen, Fahrzeugwartungen. Zudem haben wir z.B. Erste-Hilfe-Kurse gegeben bzw. künftige Ausbilder der dortigen Schwestergesellschaft geschult. Auch bei der Verteilung dringend benötigter Hilfsgüter haben wir gerne mit angepackt.
Zum Glück spreche ich einige Sprachen und dolmetsche, wenn nötig. Man sollte möglichst flexibel einsetzbar sein und die Aufgaben angehen, die aktuell anstehen. Das war auch in meinen vorherigen Einsätzen so, wie etwa während des Ebola-Ausbruchs in Westafrika. Dort war ich als Führungskraft für Infektionsprävention und Hygiene zuständig, dann betreute aber auch gemeinsam mit einer Trainerin vor Ort ein eigenes Trainingszentrum zum Umgang mit Ebola für unser medizinisches Personal und andere Hilfsorganisationen.
Das kleine Land Moldau, das im Verhältnis zur Einwohnerzahl die meisten Geflüchteten aus der Ukraine aufnimmt, hat wenige große Aufnahmeeinrichtungen. Stattdessen öffneten private Haushalte ihre Türen, und diese wurden vom Roten Kreuz in Moldau und auch dem IKRK durch lokal beschaffte Hilfsgüter unterstützt. Im ärmsten Land Europas erlebte ich auch, wie einfache Hilfspakete, gefüllt mit Öl, Nudeln, Salz und Hygieneartikeln, zu einem wertvollen Geschenk wurden. Die gezeigte Dankbarkeit lässt einen nicht kalt.
Unterwegs traf ich Familien auf der Flucht ins Ungewisse. Da sind auch Oma und Opa dabei, die Kinder, alle zusammen in einem Kleinwagen mit ihrem Hab und Gut. Und man fragt sich, was passt in ein paar Taschen und Koffer — und was muss zurückbleiben?
Im Flugzeug auf dem Rückweg nach Deutschland lernte ich eine ukrainische Mutter aus dem Südosten kennen. Ihr Mann war an der Front, und sie reiste mit ihrem kleinen Kind für drei Wochen nach Deutschland, um dem ständigen Bombenalarm zu entkommen. Sie musste sich nun entscheiden, ob sie das Kind zunächst bei Freunden in Deutschland lassen soll, weil sie in der Ukraine beruflich gebraucht wird. Das sind schwierige Entscheidungen, vor denen die Menschen in dieser Lage stehen.
Das, was ich im Einsatz erlebt habe, hat auch mit der Rotkreuzgeschichte und den Regeln des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten zu tun. Man respektiert das Schutzzeichen des Roten Kreuzes, mit dem wir unterwegs sind, und man erkennt die Wichtigkeit unsere Aufgaben und unserer Prinzipien an. Auch wenn es keines Dankes für unseren Einsatz bedarf, weil wir allein der Menschlichkeit verpflichtet sind, wird er uns oft stellvertretend für die Rotkreuz-Rothalbmond-Bewegung und ihren Unterstützern in aller Welt entgegengebracht.
Beim neuerlichen Urlaub mit dem Wohnmobil im Sommer 2023 in Moldau kamen wir auch wieder mit aus der Ukraine Geflüchteten zusammen oder wurden zum Kaffee und Gespräch eingeladen. Die Menschen in der gesamten südosteuropäischen Region schätzen unsere wichtige Arbeit, und ihnen ist bewusst, dass diese Hilfe erst durch unsere Spenderinnen und Spender möglich wird.