Seit über 18 Monaten leidet der Sudan unter einem verheerenden bewaffneten Konflikt. Mehr als 14 Millionen Menschen sind auf der Flucht, der Alltag ist vielerorts von Unsicherheit und Leid geprägt. Die humanitäre Lage spitzt sich immer weiter zu, ca. 1 Million Menschen befinden sich in einer Hungersnot, Millionen weitere leben in großer Ernährungsunsicherheit - es droht die schwerste Hungersnot weltweit.
Wegen der angespannten Lage und auf Grund von Platzmangel in der neuen de-facto Hauptstadt Port Sudan arbeite ich derzeit von Nairobi (Kenia) aus, reise aber regelmäßig und häufig in den Sudan, dieses Jahr bereits sechsmal. Ich bin dann immer wieder beeindruckt, wie unsere Partnerorganisation, der Sudanesische Rote Halbmond (SRCS), unermüdlich im Land tätig bleibt – auch unter den schwierigsten Umständen und persönlichen Verlusten. Viele der Menschen, mit denen ich täglich arbeite, sind selbst vertrieben.
Der Hauptsitz des SRCS musste von Khartum nach Port Sudan verlegt werden. Ursprünglich war das eine eher kleine, verschlafene Hafenstadt. Doch mittlerweile leben dort Schätzungen zufolge 200.000 bis 400.000 zusätzliche Menschen, die vor den Kämpfen geflohen sind. Überall wird gebaut, um dringend benötigten Platz zu schaffen.
Die dortige SRCS-Zweigstelle der Region Red Sea bietet auch den geflüchteten Kolleginnen und Kollegen aus Khartum Zuflucht und platzt aus allen Nähten. Rund fünfzig Menschen zusätzlich arbeiten derzeit in dem Gebäude, und alle Mitarbeitenden der SRCS-Hauptgeschäftsstelle leben gemeinsam in einem Wohnhaus, was eigens für die vertriebenen Kolleginnen und Kollegen angemietet werden muss. Es fehlen der Platz zum Arbeiten und Räumlichkeiten um ungestört Besprechungen zu führen. Die Mitarbeitenden müssen sich oft Wohn- und Arbeitsräume teilen, bei extremer Hitze und Schwüle. Strom ist meist nur mit Generatoren verfügbar. Trotz dieser Widrigkeiten geht das Team seiner Arbeit mit beeindruckendem Engagement nach – selbst wenn ihre eigenen Familien in alle Himmelsrichtungen zerstreut wurden.
Die Sicherheitslage im Sudan ist unberechenbar. Wir arbeiten schon viele Jahre mit dem SRCS in Nord-Darfur und Blue Nile zusammen, in Gebieten, die jetzt von Gewalt, Hunger und Zerstörung besonders betroffen sind.
Um in dieser Lage Hilfe leisten zu können, muss jede Maßnahme flexibel und situationsbezogen angepasst werden. In Al-Fasher in Nord-Darfur etwa, einer Region, die von konstantem Beschuss bedroht ist, helfen wir, mit Solarkraft angetriebene Wasserstellen zu schaffen und sanitäre Einrichtungen in medizinischen Einrichtungen zu rehabilitieren.
Eine der äußerst bereichernden Aktivitäten ist ein spezielles Programm für besonders schutzbedürftige Mütter im einzigen noch funktionierenden Krankenhaus in El-Fasher. Dort werden schwangere Frauen mit Geburtshilfe unterstützt. Schwangeren Frauen wird z.B. ermöglicht, die Geburt ihres Kindes in professioneller medizinischer Begleitung und entsprechender Sicherheit durchzuführen. Unser Angebot wird derzeit mit Hilfe des Auswärtigen Amtes zu einem vollumfänglichen Programm inkl. Vor- und Nachsorge mit Bargeldzahlungen für notleidende Mütter ausgebaut.
Fünf Monate gab es keine Kontaktmöglichkeiten mit der Region Blue Nile auf Grund kriegsbedingter Telekommunikationsausfälle. Bis vorgestern (Ende November 2024) war der ganze Staat abgeschnitten und die einzige Verbindungsstraße in den Norden blockiert. Überflutungen und Auswirkungen der Regenzeit haben Transportwege aus dem Südsudan und dem Osten blockiert.
Es gibt viele Geflüchtete in Blue Nile, die über uns Bargeldhilfen erhalten, um ihre dringendsten Bedarfe erfüllen zu können. Diese Arbeit ist auf Grund der erschwerten Bedingungen in der Region äußerst kompliziert, so gab es z.B. für einen Großteil des vergangenen Jahres kein funktionierendes Bankwesen. Dennoch finden wir gemeinsam mit der SRCS-Zweigstelle vor Ort immer wieder Möglichkeiten, um die notwendige Hilfe leisten zu können. Eines ist aber klar: In keiner der Regionen ist die Hilfe derzeit ausreichend.
Wir unterstützen als DRK landesweit im Aufbau der Kapazitäten für den Bargeldtransfer und haben in mehreren Staaten im Land ein Programm zur Basisgrundversorgung durch Bargeldtransfers mit dem SRCS und in Koordination mit Partnern aus der Rotkreuz-Rothalbmondbewegung aufgesetzt. Bargeldtransfers sind eine Möglichkeit, Hilfe für Menschen zu leisten die ihnen ermöglicht, ihre eigenen Prioritäten zu setzen – also Hilfe in Würde. Gleichzeitig sind Bargeldtransfers eine Möglichkeit, den logistischen Schwierigkeiten zum Trotz Menschen landesweit zu erreichen. Natürlich müssen hier viele Punkte beachtet werden, um den Schutz und die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten. Daher investieren wir mit voller Kraft in die Stärkung und den Aufbau der Kapazitäten im Bereich von Bargeldtransfers.
Besonders berührt mich die Menschlichkeit, mit der die SRCS-Mitarbeitenden trotz aller Herausforderungen miteinander umgehen. Dieses humane Miteinander ist nicht nur eine Stärke der Organisation, sondern auch eine Quelle der Kraft. Die Mitarbeitenden begegnen uns immer mit Offenheit und ihrer Willkommenskultur – selbst wenn sie selbst zunehmend erschöpft sind.
Doch die Belastungen sind enorm: Seit Beginn des Konflikts hat der Rote Halbmond 18 Freiwillige und Mitarbeitende verloren, neun davon, während sie im Dienst waren, z.B. beim Erste-Hilfe-Leisten. Das ist eine erschütternde Erinnerung daran, wie gefährlich die humanitäre Arbeit im Sudan ist. Das humanitäre Völkerrecht, welches u.a. den Schutz von Gesundheitseinrichtungen, Helfenden und der Zivilbevölkerung gewährleisten soll, muss dringend beachtet werden – hierzu appellieren wir als Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung.
In den kommenden Monaten konzentrieren wir uns darauf, die humanitäre Hilfe weiter auszubauen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Stärkung der Bargeldhilfen, um schnelle und direkte Unterstützung für die Menschen vor Ort zu gewährleisten. Gleichzeitig arbeiten wir eng mit dem SRCS und anderen Partnern zusammen, um die Logistikstrukturen wiederaufzubauen.
Denn der Konflikt hat die logistischen Kapazitäten erheblich beeinträchtigt – fast 60 Fahrzeuge wurden geplündert oder gestohlen. Trotz dieser Rückschläge ist es entscheidend, die Nationalgesellschaft mit voller Kraft dabei zu unterstützen, ihre Strukturen und Kapazitäten wiederherzustellen, damit sie effektive Hilfe leisten kann.
Trotz aller Herausforderungen bin ich optimistisch. Der Wille, zusammenzuarbeiten und gemeinsam die Lage zu verbessern, ist spürbar. Es liegt eine Mammutaufgabe vor uns, und v.a. vor dem SRCS, doch ich bin überzeugt: Mit Solidarität und Menschlichkeit können wir auch die schwersten Zeiten überstehen.