Ich bin unheimlich gespannt auf die nächste Woche, habe ich doch im vergangenen Jahr fast täglich mit Texten, Bildern, Videos und Berichten von Betroffenen der schlimmen Dürre am Horn von Afrika gearbeitet. Ich habe das Gefühl, das Land schon zu kennen, ohne jemals dort gewesen zu sein.
Seit vielen Jahren bin ich Fundraiserin für das Rote Kreuz, ich informiere Stiftungen und private Spender über Möglichkeiten, wo und wie sie sich für das DRK engagieren können und zeige auf, wo Hilfe besonders dringend gebraucht wird. Keine Katastrophe der letzten Dekade fand ich persönlich bedrückender als die aktuelle Hungersnot in vielen Gebieten Ostafrikas. Ich habe den Eindruck, dass hier Menschen, die ohnehin schon so gut wie nichts haben – Menschen, die zu den Ärmsten der Ärmsten gehören – drohen, noch ihr Allerletztes und Teuerstes zu verlieren: ihre Kinder, ihre Tiere, ihre Lebensgrundlagen, ihre Hoffnung.
Diese humanitäre Katastrophe kam schleichend, entsprechend löste sie auch zu keinem Zeitpunkt ein geballtes und durchdringendes Medienecho aus. Infolgedessen war auch das Spendenaufkommen geringer als bei Naturkatastrophen wie dem schweren Erdbeben in Nepal zum Beispiel. Umsomehr waren meine Kollegen und ich gefordert, die Nachricht direkt an unsere Spender und Kooperationspartner zu tragen und hartnäckig zu versuchen, die dringend nötigen Nothilfeprojekte finanziert zu bekommen – den Betroffenen Hilfe zu ermöglichen, sie und ihre Kinder vor dem Hungertod zu bewahren. Ich bin zutiefst dankbar und stolz, wie viel wir im letzten Jahr erreicht haben. In Somaliland zum Beispiel setzen wir seit Jahren bereits verschiedene Nothilfeprojekte um, die dazu dienen, den Menschen während der seit nun über zwei Jahre anhaltenden Dürre und Hungersnot zu helfen.
So kam es, dass mich das Propellerflugzeug von Addis Abeba nach Hargeisa bringt, damit ich mir selbst ein Bild darüber machen kann, was unsere Spender, Partner, meine Kollegen und ich gemeinsam bewirken.
Ja, und dann bin ich hier. Und ich bin überwältigt: von der endlosen kargen, öden, steinig-sandigen Landschaft, die nichts herzugeben scheint. Ich würde sie als Steinwüste bezeichnen. Die Kollegen vom Somalischen Roten Halbmond, die uns durchs Land führen, widersprechen. Es sei schon ziemlich grün, denn es habe etwas geregnet in den vergangenen Tagen. Ich bin bestürzt.
In den fünf Tagen – und 40 Stunden unterwegs auf den für uns unerkennbaren Straßen dieses Landes (wir fahren durch die lose Steinöde, uns ist eine Orientierung unmöglich) – sehe ich gerade mal zwei kleine Felder, wo ein wenig Mais wächst. Ich bin überwältigt von den spärlichen aus Holz, Stoffresten und Reissäcken gebauten Hütten, die vereinzelt in diesem Nichts auftauchen und das Zuhause von unzähligen Menschen in Somaliland sind. Von der Freundlichkeit und der zerbrechlichen und friedlichen Erscheinung der Menschen, die wir dort treffen. Gleichzeitig denke ich, dass der Eindruck der Zerbrechlichkeit wohl täuscht, denn sie leben. Sie überleben. Ich weiss nicht wie. Welche Stärke müssen die Menschen dafür besitzen? Wasser beschaffen sie an diesem Tag aus einer Wasserpfütze in derAutofahrspur, Regenwasser der letzten Nacht. Die Hitze ist erschlagend.
Hier verstehe ich erst, was die Worte in meinen Schreiben an die Spender wirklich bedeuten: Die verheerende Dürre hat den größten Teil der Wirtschaft eines ganzen Landes zerstört, sie hat der mehrheitlich pastoralen Bevölkerung ihr weniges Hab und Gut geraubt. Und doch sind diese Menschen immer noch hier und tragen ihr Schicksal mit einer unbeschreiblichen Würde. Sie sprechen davon, dass sie nun wieder bei Null beginnen werden. Und berichten, wie sie mit der Hilfe vom Roten Kreuz durchgekommen sind. Ich kann schwer in Worte fassen, welch grenzenlose Hochachtung ich für diese Menschen empfinde.
Fotos: Lucy Schweingruber/DRK; Aapo Huhta/Finnisches Rotes Kreuz