In den Fluren des Republican Hospital nördlich der Stadt Saada, einer Stadt im Nordwesten des Jemen, macht Chefarzt Dr. Abdulaziz seine tägliche Visite, untersucht dutzende Patienten und schaut, ob in der Notaufnahme alles in Ordnung ist.
Das Krankenhaus ist keine große Einrichtung, aber sehr wichtig, denn als eines der wenigen der Region kann es Überweisungen für komplexere Fälle entgegennehmen und stationäre Behandlungen anbieten. Das medizinische Team behandelt deshalb nicht nur Patientinnen und Patienten aus Saada, sondern auch aus den benachbarten Regionen und Gouvernements.
Aufgrund des andauernden Konflikts steht das Republican Hospital, wie viele andere Gesundheitseinrichtungen in Jemen, vor überwältigenden Herausforderungen. Es gibt häufige Stromausfälle, einen chronischen Mangel an Versorgungsgütern und ständige Sicherheitsbedenken. Viele medizinische Fachkräfte arbeiten inzwischen ohne Bezahlung, weil kein Geld für Gehälter vorhanden ist. „Unsere Arbeit ist rein humanitär“, sagt Dr. Abdulaziz, „deshalb können wir nicht aufhören oder sagen: ‚Wir können nicht‘. Das Leben der Patienten und das Leben vieler Menschen hängt von diesem Krankenhaus ab, und wenn wir aufhörten, könnten sie sterben, weil die Dienste nicht zur Verfügung stehen.“
Sieben Jahre Konflikt haben für die Gemeinde des Arztes, das Krankenhaus und das Gesundheitspersonal viele Folgen gehabt. Vor einem zerstörten Haus in der Stadt Saada erinnert sich Dr. Abdulaziz. „In den ersten Tagen des Konflikts kamen ständig verwundete Patienten in das Krankenhaus, um Hilfe zu suchen.“ Das Gesundheitspersonal steht nach wie vor unter großem Druck, um neben der stationären Behandlung auch Hilfe und Soforthilfe zu leisten.
In der Notaufnahme behandeln die medizinischen Fachleute täglich Dutzende Patienten, viele von ihnen werden vom Jemenitischen Roten Halbmond gebracht.
Einige der Patienten leiden an Verletzungen, die in direktem Zusammenhang mit dem Konflikt stehen, viele kommen aber auch aufgrund indirekter gesundheitlicher Folgen wie Unterernährung und Krankheiten – verursacht durch nicht funktionierende Wasser- und Abwassersysteme.
„Das Beste für mich ist, wenn wir es schaffen, das Leben eines Patienten zu retten, der im Sterben lag“, erzählt Dr. Abdulaziz, „und wenn wir Menschen Schmerzen nehmen können. Das sind die Dinge, die uns zufrieden mit unserer Arbeit machen“.
Der Konflikt führt dazu, dass behandelbare chronische Krankheiten wie Nierenversagen tödlich enden können. Nierenkranke Patienten kommen zwei- bis dreimal pro Woche zur Behandlung ins Krankenhaus. Häufige Stromausfälle aber unterbrechen die Dialyse. Im ganzen Land arbeiten viele Krankenhäuser mit verschlissenen Maschinen, Stromausfällen und unzureichendem Personal. Nach Angaben des IKRK sind seit Beginn des Konflikts im Jahr 2015 jedes Jahr bis zu 25 Prozent der Dialysepatienten in Jemen verstorben.
In der Abteilung für Unterernährung werden fast täglich zwischen 35 und 40 Kinder aufgenommen. Dabei unterscheiden die Fachleute zwischen akuter und chronischer Unterernährung. Die Patienten erhalten eine unterstützende Behandlung und angemessene Ernährung, bis sich ihr Zustand verbessert.
Im Jahr 2021 waren in Jemen nach Schätzungen der Vereinten Nationen 2,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren von akuter Unterernährung und weitere 400.000 von schwerer Unterernährung bedroht. Dort herrscht die weltweit größte Not in Bezug auf Ernährungssicherheit, fast 20 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Die Gefahr durch den Konflikt zwang Walid und seine Familie zur schwierigen Entscheidung, ihr Haus und all ihr Hab und Gut zurückzulassen. Sie mussten zweimal umziehen, bis sie einen neuen Ort fanden, den sie ihr Zuhause nennen konnten.
Walid erinnert sich an die Zerstörung seines Hauses in der Hauptstadt Sana’a durch einen nahen Luftangriff: „Es war fast 1:15 Uhr morgens, als wir aus unserem Haus flohen. Unser Haus bekam Risse und stürzte fast vollständig ein. In diesem Moment haben wir beschlossen, woanders zu leben.“
Beim Versuch, das Leben weiterzuführen und seiner Familie Stabilität zu geben, fand Walid die Möglichkeit, sich als Freiwilliger des Jemenitischen Roten Halbmonds zu engagieren.
Mehr als zwei Jahre lang arbeitete er als Feldforscher in der Stadt Saada, wo er seine Leidenschaft für humanitäre Arbeit und die Hilfe für notleidende Menschen entdeckte. Heute arbeitet Walid als Sozialgutachter im Gemeindezentrum für Vertriebene in Saada. Er leistet Feldforschung in der Stadt und hilft bei der Registrierung von Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen. „Das ist viel mehr als nur ein Job“, sagt Walid. Schließlich kann er so vielen Familien helfen, die das gleiche Leid wie er und seine Angehörigen erfahren haben.
Seit dem Ausbruch des Konflikts haben tausende Familien ihr Eigentum verloren und fast vier Millionen Menschen waren wie Walids Familie gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Der Jemenitische Rote Halbmond und andere Organisationen unterstützen rund 7.300 Menschen in Saada, die durch den Konflikt vertrieben wurden.
Da er selbst zu den Vertriebenen gehört, kann Walid die Bedürfnisse dieser Menschen besser verstehen. „Ich bin sehr froh, diesen Job zu haben, denn wenn ich die Situation anderer Vertriebener beurteile, kann ich mich in ihre Lage versetzen“, sagt er. „Manchmal, wenn ich mit dem Team zu den Familien gehe, spüre ich sofort, welche Bedürfnisse sie haben, noch bevor sie zu sprechen beginnen.“
Im Jahr 2021 versorgte der Jemenitische Rote Halbmond mehr als 53.000 Haushalte im ganzen Land mit Unterkünften, Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln. Außerdem bot er über das Gemeinschaftszentrum in Amran, einer Stadt nordwestlich von Sa’ana, Dienstleistungen wie psychosoziale Unterstützung an, und stellte Bargeld sowie Nahrungsmittel für mehr als 284.000 Menschen bereit.
Katastrophen wie Überschwemmungen und Dürren haben die Lage für viele Menschen zusätzlich verschärft, so dass der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Wasser und sanitären Einrichtungen von entscheidender Bedeutung ist. Der Jemenitische Rote Halbmond versorgt 6.692 Haushalte mit sauberem Wasser – insgesamt schätzungsweise mehr als 46.800 Menschen in verschiedenen Bezirken Jemens.
Fotos: Mohammed Almoayed
Text: Faisal Lutf