Pro Jahr ereignen sich bei uns in Kirgistan durchschnittlich 200 gefährliche Naturereignisse, die bis zu 200.000 Menschen betreffen und rund 35 Millionen US-Dollar an Schäden verursachen. Unser Land gilt als sehr katastrophenanfällig, so wurde es beispielsweise im INFORM Global Risk Index 2019 als „hoch exponiert gegenüber natürlichen und von Menschen verursachten Gefahren“ eingestuft. Nach wie vor ist es hier eine große Herausforderung, Maßnahmen zur Minderung des Katastrophenrisikos durchzuführen, ob durch lokale Regierungen oder humanitäre Organisationen.
Zwar haben die Behörden in den letzten Jahren viele Anstrengungen im Hinblick auf die Katastrophenvorsorge unternommen, doch angesichts begrenzter finanzieller, technologischer und sonstiger Ressourcen sind sie nicht immer in der Lage, das allein zu bewältigen. Deshalb ist es wesentlich, dass wir vom Kirgisischen Roten Halbmond als größte und älteste humanitäre Organisation Kirgistans weiterhin auf Notfälle und Katastrophen im Land vorbereitet sind und darauf reagieren. Unsere Freiwilligen und Mitarbeitenden klären über Gefahren auf, evakuieren Betroffene, leisten Erste Hilfe oder verteilen Hilfsgüter – und das sind nur einige von vielen Aktivitäten.
Von den Katastrophen besonders stark betroffen sind beispielsweise in Armut lebende Menschen, abgelegene Gemeinden, aber auch Haushalte mit alleinerziehenden Eltern sowie ältere Menschen und Minderheiten. In unseren Projekten legen wir deshalb besonderen Wert auf die Beteiligung dieser gefährdeten Bevölkerungsgruppen – so auch in unserem aktuellen Projekt zur vorausschauenden humanitären Hilfe, dem sogenannten Forecast-based Financing (FbF).
Forecast-based Financing (FbF) nimmt im Katastrophenmanagement, also dem Prozess zwischen Katastrophenvorsorge, Sofort- und Nothilfe, Wiederaufbau und langfristigen Maßnahmen hin zu einer geringeren Katastrophenanfälligkeit, eine besondere Rolle ein. Es füllt die Lücke zwischen der klassischen Katastrophenvorsorge, die lange im Voraus geplant wird und oft nur bestimmte Gemeinden oder Gebiete abdeckt und der Soforthilfe, die erst geleistet wird, wenn die Katastrophe schon da ist. Bisher konnten wir oft erst dann handeln, wenn das Extremwetter schon eingetreten war und z. B. gefährdete Menschen bedingt durch eine Hitzewelle bereits unter akuten Herz-Kreislauf-Problemen litten oder Familien durch schwere Kältewellen ihre Nutztiere und damit ihre Existenzgrundlage verkaufen mussten, um mehr heizen zu können.
Moderne, verlässliche Wettervorhersagen machen es heute möglich, schon früher zu helfen: Sobald Extremwetter absehbar sind, werden nun dank FbF Gelder freigegeben, sodass schnell Unterstützung, wie die Verteilung von Nahrungsmitteln oder Heizmaterialien, anlaufen kann. Voraussetzung dafür ist jedoch genaues Wissen um die Bedingungen vor Ort und die Prüfung, ab welchen Schwellenwerten in der jeweiligen Region das Wetter bedrohlich für die gefährdeten Menschen wird. Auch ist es nötig, vorab zu wissen, welche Menschen im Notfall Hilfe benötigen, und genau festzulegen, was diese Hilfe umfasst. Wie in der Katastrophenvorsorge ist hier also eine gründliche Analyse und Planung notwendig.
Mit unserem FbF-Projekt in Kirgistan konzentrieren wir uns auf Hitze- und Kältewellen. Wir haben bereits viel erreicht. In diesem Sommer beispielsweise, als einige Gebiete Kirgistans von akuter Hitze erfasst wurden, haben wir unser Frühwarnprotokoll für Hitzewellen getestet. Darin ist genau festgelegt, wer im drohenden Notfall welche Aktivitäten durchführt. Hitzewellen können zu schweren Gesundheitsproblemen führen, vor allem bei älteren Menschen. Vielen ärmeren Menschen, die oft draußen arbeiten, z. B. auf dem Bau oder auf dem Markt, fällt ihr Einkommen weg und sie können ihre Familien nicht mehr mit dem Nötigsten versorgen. Im Zuge des Tests Anfang August haben wir insgesamt 1.400 gefährdete Familien in drei Distrikten und zwei Städten, darunter Außenbezirke der Hauptstadt Bischkek, mit 1.400 Nahrungsmittelpaketen und 400 Hygienekits versorgt. Zusätzlich haben 200 Personen in sozialen Einrichtungen des Roten Halbmonds – Pflegeheimen, Waisenhäusern und einem Hospiz – Unterstützung in Form von Klimaanlagen erhalten.
Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis unseres Tests. Die Verteilungen liefen reibungslos und die unterstützten Menschen konnten deutlich besser mit der extremen Hitze umgehen. Schnelles Handeln ist aber immer eine Herausforderung, denn zwischen Vorhersage und Beginn des extremen Wetters bleiben uns nur wenige Tage. Dieses Mal war die Beachtung der Covid-19-Präventionsmaßnahmen, wie etwa Abstandsregeln und das Tragen von Masken, eine zusätzliche Herausforderung.
Auch abseits aktueller Notlagen ist es wichtig, dem Thema Katastrophenvorsorge Gehör zu verschaffen, um das Bewusstsein dafür zu stärken. Aktionen wie der Internationale Tag der Katastrophenvorsorge am 13. Oktober helfen dabei. Anlässlich dieses Tages beteiligen wir uns – das FbF-Team, Mitarbeitende und Freiwillige der Nationalen Rothalbmondgesellschaft – an der vom kirgisischen Ministerium für Katastrophenschutz organisierten Aktionswoche rund um das Thema Minderung des Katastrophenrisikos. Diese Katastrophenvorsorge-Woche umfasst verschiedene Aktivitäten mit Schulkindern und Jugendlichen. So wird es einen Wettbewerb in Erster Hilfe und eine Sammlung der besten Ideen zur Bewältigung bisheriger und möglicher Notfälle und Katastrophen im Land geben. Ich bin sehr gespannt auf die Ideen und die Mitarbeit der Kinder und Jugendlichen. Dass junge Menschen ein Bewusstsein für Katastrophenvorsorge entwickeln, finde ich sehr wichtig, schließlich rettet sie Leben und ist deshalb auch künftig unverzichtbar.
Fotos: S.Abdujabarov/DRK; N.Chynalieva/DRK; K. Puche/DRK
Übersetzung und Redaktion: Marina Schröder-Heidtmann