Als starke Frau würde sich Anarkul Narynbekova selbst wohl nicht bezeichnen. Lernt man die bedachte Lehrerin aber kennen, drängt sich diese Beschreibung auf. Mit sieben Kindern meistert die 40-Jährige das Leben in dem abgelegenen Dorf Özgörüsh weitgehend als alleiniges Familienoberhaupt. Denn aus Mangel an Arbeitsmöglichkeiten in ihrem Heimatland muss ihr Mann Mairambek in Russland Geld verdienen.
Zum Jahresende jedoch kommen alle zusammen: „Wir feiern Silvester mit der ganzen Familie bei einem festlichen Essen auf dem Tisch – das ist unsere Tradition”, sagt Anarkul Narynbekova. „Letztes Jahr konnte mein Mann wegen seiner Arbeit leider nicht dabei sein, aber sonst versuchen wir, diese Zeit zusammen zu verbringen.”
Gemeinsam macht die Familie Pläne für das neue Jahr: „Mit meinem Ehemann besprechen wir zum Beispiel Vorhaben bezüglich unseres Viehbestandes wie Futtervorräte und andere Dinge.“ Ihre Pferde und Kühe sind für die Familie eine wichtige Sicherheit. Brechen Kältewellen im Winter herein, kann sie sie verkaufen, um Kohle zu besorgen.
Trotz der schönen gemeinsamen Stunden und Tage um Neujahr bleiben die alltäglichen Herausforderungen: In einem Dorf wie Özgörüsh brauchen Anarkul Narynbekova und ihre Familie viel Durchhaltevermögen – gerade jetzt im Winter. Schließlich klettern die Temperaturen im Dezember nie über den Gefrierpunkt, durchschnittlich liegen sie bei -12 Grad Celsius, im Januar noch tiefer. „Das Haus zu heizen gehört dann zu unseren größten Herausforderungen”, sagt die 40-Jährige.
Weil Anarkul als Geografielehrerin an der örtlichen Dorfschule nicht viel verdient, ist das Geld im Winter nicht nur für Kohle knapp, sondern auch für warme Winterkleidung, die die Kinder dringend brauchen. Häufig heizt sie das unisolierte Haus deshalb mit getrocknetem Tierkot, der günstiger ist. Seine Heizkraft jedoch reicht nicht aus, um das Haus bei großer Kälte warm zu halten.
Wie Anarkul Narynbekova kämpfen sich viele Menschen im ländlichen Kirgistan durch den Winter, teils unter noch härteren Bedingungen. Kältewellen bedrohen regelmäßig ihre Existenz. Das Pilotprojekt zur vorausschauenden Katastrophenhilfe, das das DRK gemeinsam mit dem Kirgisischen Roten Halbmond dank der Finanzierung durch die Deutsche Bank Stiftung durchführen kann, ist für diese Menschen wie eine Sicherheitsleine.
Sobald eine Kältewelle absehbar ist, werden die Menschen durch Rothalbmond-Freiwillige informiert. Die bedürftigsten Familien erhalten zum Beispiel Kohle oder Bodenmatten, um sich besser schützen zu können. Zwar sind die Gemeindemitglieder in Özgörüsh diese Saison bisher von Kältewellen verschont geblieben, doch der Winter ist noch lang.
Anarkul Narynbekova weiß um das Forecast-based-Financing-Projekt des DRK: „Auch wenn der Name des Projekts schwer zu merken ist, bin ich froh, dass bedürftige Menschen im Notfall Hilfe erhalten“, sagt sie, ohne an sich selbst zu denken.
Fotos: N.Chynalieva/DRK
Text: Marina Schröder-Heidtmann