Wenn es in Kirgistan heute droht, zu heiß oder zu kalt zu werden, sind die Helfenden des Kirgisischen Roten Halbmonds besser gewappnet. Dank enger Zusammenarbeit mit dem Nationalen Hydrometeorologischen Dienst, vorgehaltenen Hilfsgütern und eingespielten Arbeitsabläufen können sie den am stärksten gefährdeten Menschen helfen, bevor das Extremwetter eintritt. Ein großer Schritt, der in Kirgistan die Lücke zwischen Katastrophenvorsorge und Katastrophenhilfe schließt.
Shavkat Abdujabarov hat das Projekt mit vorbereitet und die letzten drei Jahre gewissenhaft koordiniert. Er berichtet, was sich seit Projektbeginn übergreifend getan hat: „Die vorausschauende humanitäre Hilfe und die Notwendigkeit der Anpassung an den Klimawandel sind inzwischen fest in der Strategie des Kirgisischen Roten Halbmonds verankert. Auch haben wir erreicht, dass FbF in den nationalen Notfallplan und das Katastrophenrisikomanagement Kirgistans integriert wurde. So findet es Berücksichtigung bei der Entwicklung von Hilfsszenarien im ganzen Land.”
Auch wenn dieses Projekt jetzt beendet ist, wird es weiter fortwirken: durch die geschaffenen Strukturen, aber auch durch das Bewusstsein der Bevölkerung rund um Wetterextreme und eigene Schutzmaßnahmen. Denn diese Strukturen ermöglichen, dass im Falle von Hitze- und Kältewellen Maßnahmen im Vorfeld eingeleitet werden und deren Finanzierung durch die Internationale Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften gesichert ist. Der Rote Halbmond ist langfristig gestärkt durch den Zuwachs an Expertise und Vernetzung genauso wie durch vermeintlich „einfache“ Dinge wie die Erweiterung des Lagers in Naryn, das zuvor nur ein schlichter Container war und heute umfangreiche Hilfsgüter für 100 Familien fassen kann.
Was genau im Ernstfall zu tun ist, wann und wer mit welcher Aufgabe betraut ist, steht in den sorgfältig ausgearbeiteten Frühwarnprotokollen (auch: Early Action Protocols, EAPs), die im Zuge des FbF-Projekts entstanden sind. Und das ist nicht nur eine Errungenschaft für Kirgistan. Schließlich ist das Frühwarnprotokoll für Hitzewellen überhaupt das erste EAP für vorausschauende Hilfsmaßnahmen in Zentralasien. Erst das Projekt von DRK und Rotem Halbmond ebnete den Weg für FbF in der Region. „Wir sind sehr stolz, Vorreiter für die vorausschauende humanitäre Hilfe zu sein”, sagt Shavkat Abdujabarov. Nach der offiziellen Bestätigung des kirgisischen Frühwarnprotokolls für Hitzewellen seitens der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmond-Gesellschaften prüft er nach Projektabschluss, ob die in Kirgistan gewonnenen Erkenntnisse auf Usbekistan übertragbar sind und die Einführung der vorausschauenden humanitären Hilfe dort erleichtern können.
„Der FbF-Ansatz hat uns von Anfang an überzeugt”, sagt Jürgen Fitschen, Vorstandsvorsitzender der Deutsche Bank Stiftung, die das Projekt exklusiv gefördert hat. Besonders schätzt er dabei die genaue Risiko- und Bedarfsermittlung und die fortlaufende Erprobung der Frühwarnprotokolle. „Die Testtrainings zu den Hitze- und Kältewellen haben deutlich gezeigt, dass die Bevölkerung von Beginn an stark in das Projekt eingebunden wurde und so erfolgreich für Präventionsmaßnahmen sensibilisiert werden konnte. Im Ernstfall können diese Trainings Menschenleben retten.”
Jürgen Fitschen führt aus: „Die Einführung der vorausschauenden humanitären Hilfe in Kirgistan und Tadschikistan ist vor allem dank der engen Zusammenarbeit des DRK-Teams mit sehr vielen unterschiedlichen Akteurinnen und Akteuren wie dem Roten Halbmond, den Fachleuten für Wettervorhersagen oder den Gemeindevertretungen gelungen. So ein großes Projekt durchzuführen und FbF langfristig vor Ort zu verankern, erfordert viel Engagement, großes Koordinations- und Kommunikationsvermögen, eine sehr gute Kenntnis der lokalen Begebenheiten und vor allem auch der Bedürfnisse der Menschen vor Ort.” Die Deutsche Bank Stiftung fördert deshalb auch andere FbF-Projekte des DRK, seit 2020 im Südlichen Afrika und seit 2021, nach einer Machbarkeitsstudie vor Ort, auch im Sudan.
Auch Anja Böhnke, Länderreferentin für Zentralasien und die Ukraine, zieht Bilanz. Als verantwortliche Referentin im DRK-Generalsekretariat begleitet sie die Projekte in Zentralasien schon lange, schwärmt von Ländern wie Leuten und kennt die Probleme vor Ort: „Wir sind seit vielen, vielen Jahren in der Region tätig. Leider werden die Länder Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht. Manchmal können wir rechtzeitig agieren, durch Frühwarnsysteme, vorbereitete und trainierte Gemeinden, gut und sinnvoll gefüllte Lager mit Nothilfeausrüstung – aber vor allem auch durch Projekte wie dieses, in dem die antizipative Hilfe die Hauptrolle spielt.“
Was die Arbeit in Kirgistan und Tadschikistan neben der Finanzierung überhaupt erst möglich und erfolgreich gemacht hat, so ist sich Anja Böhnke sicher, waren das Engagement, das Verständnis und die großartige Umsetzung durch ihre Kolleginnen und Kollegen vor Ort. „Der Kirgisische Rote Halbmond ist ein extrem verlässlicher und moderner Partner, der gut mit den anderen wichtigen Akteurinnen und Akteuren im Bereich vorausschauender humanitärer Hilfe vernetzt ist und nicht nur von uns sehr geschätzt wird. Das gleiche gilt für den Tadschikischen Roten Halbmond.“ Die Länderreferentin ist zuversichtlich, dass das Wissen in den beiden Ländern bleibt und betont gleichzeitig, wie wichtig es ist, dass auch andere Länder in der Region von dem innovativen Ansatz profitieren und Menschenleben retten können. Doch dafür braucht es Zeit und Geld. „Wir bemühen uns darum, weitere Projekte zu entwickeln – sei es für ein Frühwarnsystem für Schlammlawinen in Kirgistan und Tadschikistan oder die Entwicklung des FbF-Ansatzes in Usbekistan.“
Fotos: M.Meyer/DRK, Foto: N. Chynalieva/DRK, K.Puche/DRK, S. Abdujabarov
Text: Marina Schröder-Heidtmann