Für die Witwe Jazgul Tashtanbekova sind die Kinder ihre Hauptaufgabe. Schließlich leben sechs ihrer sieben Töchter und Söhne noch zuhause. Gemeinsam bewohnen sie ein einfaches, 30 Quadratmeter großes Haus im Dorf Tash-Bashat und teilen sich das einzige Schlafzimmer ihres Heims. Die 38-Jährige erzählt, wie ein gewöhnlicher Tag in ihrem Leben aussieht: „Ich stehe morgens auf, heize im Winter den Ofen an, bereite das Frühstück für meine Kinder zu und schicke sie zur Schule. Dann mache ich das Haus sauber, koche und erwarte meine Kinder zum Mittagessen. Während des Tages backe ich Brot und kümmere mich um alle restlichen Angelegenheiten.” Als Witwe sind das eine Reihe von Dingen. „Es ist nicht leicht, die Kinder allein groß zu ziehen und die Familie zu leiten“, sagt sie.
Aufgrund der Kinderbetreuung kann Jazgul Tashtanbekova nicht arbeiten gehen. Der monatliche Lebensunterhalt ihrer Familie setzt sich aus staatlichen Zulagen für fünf der sechs Kinder – rund 8.000 Soms, also etwa 85 Euro (Stand 11.09.2020) – und landwirtschaftlichen Einnahmen zusammen. So baut sie neben Kartoffeln etwas Knoblauch auf ihrem Land an, den Käufer, darunter Händler, direkt vom Feld mitnehmen. „Knoblauch ist ertragreich und teuer zu verkaufen,“ sagt Jazgul Tashtanbekova.
Ihre Kinder bindet sie in den gesamten Produktionsprozess mit ein, von der Saat bis zur Ernte, die zwischen 50 und 100 Kilogramm Knoblauch pro Jahr umfasst und ihnen bis zu 6.000 Soms – rund 64 Euro (Stand 11.09.2020) – jährlich einbringt. Manchmal können sie zusätzlich ein Kalb verkaufen, wenn eine ihrer drei Kühe Nachwuchs hat. Eine Naturkatastrophe oder Klimaextreme, die die spärliche Ernte vernichten, würden die Familie in eine existenzielle Notlage bringen.
Große Schritte kann Jazgul Tashtanbekova mit ihren Einnahmen nicht machen. „Zu unseren größten Herausforderungen gehört es, dass wir mit Nahrungsmangel zu kämpfen haben und uns das Geld fehlt, um unser Haus fertigzustellen.“ Das neue Haus, das der älteste Sohn mit seinen Freunden sowie Freunden seines verstorbenen Vaters während der Semesterferien baut, soll besser isoliert sein und die Familie insbesondere in kalten Wintern besser schützen. Die siebenfache Mutter hofft, dass es noch dieses Jahr fertig werden kann – nach vier Jahren Bauzeit. Schließlich kann Jazgul Tashtanbekova gerade mal das Geld für 2.000 Kilogramm Kohle pro Jahr aufbringen. Deshalb heizen sie im Winter nur einen Ofen zur kältesten Zeit, morgens und abends, und sparen, wo sie können. Ein gut isoliertes Haus würde ihre Situation verbessern.
Weil Familie Tashtanbekova zu den verwundbarsten Familien in der 1.400-Seelen-Gemeinde Tash-Bashat gehört, ist sie berechtigt, Hilfsgüter vom Roten Halbmond zu erhalten. Vergangenen Winter hat sie deshalb Nahrungsmittel, Kohle und Isoliermaterial bekommen. Die Hilfsgüterverteilung war Teil des vom DRK geförderten und von der Deutsche Bank Stiftung finanzierten Forecast-based-Financing-Projekts des Roten Halbmonds in Kirgistan. Ziel dieser sogenannten vorhersagebasierten Katastrophenhilfe ist es, bedürftige Familien bei drohenden Extremwetterlagen – ob Hitze oder Kälte – so früh zu unterstützen, dass sie sich wirkungsvoll schützen können und Katastrophen ausbleiben oder zumindest die Auswirkungen der Klimaereignisse deutlich abgemildert werden. Seit Anfang 2019 führen das DRK und der Kirgisische Rote Halbmond diese innovative Hilfsform in Kirgistan ein. Ende 2021 soll sie so weit etabliert sein, dass Behörden wie Helfende Abläufe und Methoden im Ereignisfall verinnerlicht haben.
Für Familie Tashtanbekova hat das Projekt bereits spürbare Verbesserungen gebracht. Sie ist dankbar für das fortwährende Engagement der Helfenden. Denn die Zahl der Extremwetterlagen in Kirgistan nimmt zu. Doch Jazgul Tashtanbekova ist bescheiden: „Es gibt Familien, denen es schlechter geht.“
Fotos: N.Chynalieva/DRK; S.Abdujabarov/DRK
Text: Marina Schröder-Heidtmann