Die humanitäre Lage in Afghanistan hat sich seit dem politischen Machtwechsel im vergangenen Jahr erheblich verschlechtert. Asif Khan, Leiter des Büros des Deutschen Roten Kreuzes in Islamabad, Pakistan, hat Kabul im Juli besucht, um die derzeit bestehenden Lebensbedingungen und humanitären Bedürfnisse der Menschen in Afghanistan zu erfassen.
August 2022
Im Juli dieses Jahres, fast ein Jahr nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021, bin ich für das Deutsche Rote Kreuz nach Kabul gereist, um die humanitäre Situation zu beurteilen und die dringendsten Bedürfnisse zu ermitteln.
Es mag seltsam klingen, aber es gibt einige Menschen, die die aktuelle Situation vorerst akzeptieren, da die jahrzehntelangen Kämpfe scheinbar zum Stillstand gekommen sind. Generell herrscht aber große Unsicherheit und Sorge über die Zukunft, da sich die humanitäre Lage immer weiter verschlechtert. Es ist nach wie vor unklar, welche politischen Entscheidungen weiter getroffen werden und wie diese sich auf die Bevölkerung auswirken werden.
Es mangelt an Bargeld, da die Bankensysteme nicht funktionieren. Aufgrund der schlechten Wirtschaftslage ist die Verfügbarkeit von Lebensmitteln, sauberem Trinkwasser, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern eingeschränkt. Innerhalb Afghanistans gibt es große Migrationsbewegungen. Auf der Suche nach Einkommensmöglichkeiten ziehen die Menschen in städtische Gebiete. Dort leben sie oft unter sehr schwierigen und schlechten Bedingungen. Für den Winter fehlt vielen Familien eine angemessene Unterkunft. Grundlegende Dienstleistungen sind extrem eingeschränkt, der Zugang zu Schulen und Gesundheitsdiensten ist erschwert, es gibt kaum ausreichende Einkommensmöglichkeiten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass junge Mädchen und Frauen zur Schule oder Universität gehen, sinkt. Die Familien sind besorgt, dass ihre Töchter überhaupt keine Schulbildung erhalten werden. Viele gut ausgebildete Menschen haben Afghanistan bereits verlassen. Diese Abwanderung schwächt die öffentliche Struktur zusätzlich.
Derzeit können Frauen nur im medizinischen Dienst, im Bildungswesen und bei internationalen humanitären Organisationen arbeiten. Im öffentlichen Raum sieht man nur wenige Frauen und es ist nicht möglich, einfach mit ihnen zu sprechen. Aber ich habe Frauen getroffen, die auf internationaler Ebene für die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung arbeiten. Sie sagen: „Wir sind froh, dass wir noch ins Büro kommen können.“
Die eine nationale Gesellschaft kann von der anderen profitieren. Sie sind seit 30 Jahren vertrauensvolle Partner. Unsere Projektmitarbeiter befinden sich in Islamabad; kulturell haben wir in beiden Ländern viel gemeinsam, wir sprechen zum Beispiel die gleiche Sprache, was das gegenseitige Vertrauen fördert.
Viele gut ausgebildete Menschen haben das Land verlassen. Daher müssen zunächst die verbleibenden Kapazitäten des Afghanischen Roten Halbmonds und dessen strategischer Plan für humanitäre Maßnahmen gestärkt und ausgebaut werden.
Der wichtigste Ansatz für die humanitäre Hilfe liegt in der Stärkung der Existenzgrundlagen. Das heißt, wir müssen Wege finden, die Menschen in die Lage zu versetzen, selbst Lebensmittel und Wasser für ihre Familien erwerben zu können. Voraussetzung dafür ist natürlich, die Menschen einzubeziehen und ihnen Schulungen und berufliche Perspektiven zu bieten, zum Beispiel durch neue Techniken in der Landwirtschaft oder durch die Bewirtschaftung eines eigenen Gemüsegartens - ganz im Sinne von: "Gib den Menschen nicht einen Fisch, sondern lass sie lernen, wie man einen Fisch fängt."
Ich glaube, das Land hat noch einen langen Weg vor sich. Ich wünsche mir, dass die Menschen in Frieden leben, dass sie unter würdevollen, gerechteren Bedingungen leben können. Bildung ist ein Menschenrecht, Gesundheit ist ein Menschenrecht. Würde ist ein Menschenrecht.
Alle Menschen in Afghanistan sollen ein normales Leben führen können. Das ist es, was ich mir für das Land wünsche.