Bereits vor der Corona-Pandemie war die Situation in Ostafrika dramatisch. Eine massive Heuschreckenplage sorgt in Somalia seit 2019 für Ernteausfälle und Ernährungsunsicherheit. Die weltweite Aufmerksamkeit hat sich ein Stück weit von der Heuschreckenplage weg verlagert. Verbunden mit den Auswirkungen der Pandemie und schwierigen klimatischen Bedingungen bedeutet dies für die Betroffenen sowie die Helferinnen und Helfer, dass es noch schwieriger ist, Unterstützung bereitzustellen.
Federico Rossi, Delegierter des DRK in Somalia, berichtet im Interview von der Situation vor Ort und darüber, wie trotz aller Herausforderungen Hilfe geleistet werden kann.
Somalia war eines der ersten Länder, das Ende 2019 von der Heuschreckenplage betroffen war. Viele Hektar Weideland sowie Farmen wurden von den Heuschrecken befallen. Die Tiere vernichteten Ernten und Futtermittel und somit das Einkommen zahlreicher Familien, die sich bereits in Notlagen befanden und unter den Folgen früherer Dürren, Überschwemmungen und Konflikten leiden.
Die Heuschrecken fanden in der Region perfekte Bedingungen für ihre Vermehrung vor: Eine überdurchschnittliche Regenzeit in der zweiten Jahreshälfte von 2019, die das Wachstum der Weiden förderte, versprach positive Entwicklungen für Gemeinden, die von der Viehzucht leben. Gleichzeit trug dies aber auch dazu bei, dass die Heuschrecken ausreichend Nahrung vorfanden. Sie vermehrten sich rasant und entwickelten in kürzester Zeit große Schwärme. Es ist traurig, sagen zu müssen, dass zu Beginn der Regenzeit alle sehr optimistisch waren und ein Jahr mit guten Ernten und einer Regenerierung der Bevölkerung erwarteten. Die Heuschrecken in Verbindung mit der Covid-19-Pandemie waren ein harter Schlag für die Menschen in Somalia. Da im Land selbst kaum Strukturen zur Bekämpfung vorhanden sind, sah sich Somalias Regierung Anfang 2020 gezwungen, auch international durch den Ausruf des Notstandes auf die besondere Notlage aufmerksam zu machen.
Die Heuschreckenschwärme haben insbesondere Somalia, Kenia und Äthiopien befallen, erreichten aber auch weiter entfernte Länder wie Uganda, Südsudan und Sudan. Andere Heuschreckenschwärme sind bis auf die arabische Halbinsel gezogen und im Jemen und im Oman präsent, brüten teilweise sogar an der Grenze zwischen Indien und Pakistan. In Somalia sind insbesondere die nördlichen Regionen Somalilands von dem Befall betroffen. Da es sich um wandernde Tiere handelt, hängt die Bewegung der Schwärme von Jahreszeiten, Windrichtungen und anderen Faktoren ab, weshalb sie nicht nur in Ostafrika ein Problem darstellen. Um die Heuschrecken in Somalia zu bekämpfen und die negativen Folgen für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten, arbeitet die Somalische Rothalbmondgesellschaft eng mit der Regierung zusammen, die wiederum von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN (FAO) unterstützt wird, welche die weltweite Heuschreckenbekämpfung koordiniert.
Die lokalen Testkapazitäten sind sehr begrenzt, sodass die offiziellen Zahlen sehr wahrscheinlich nicht die reale Situation widerspiegeln. Wie man leicht erahnen kann, sind die Strukturen des Gesundheitswesens in Somalia nicht für den Umgang mit einer Pandemie gerüstet. Die Regierung hat sowohl für internationale Reisen als auch für Aktivitäten des täglichen Lebens Beschränkungen eingeführt. Dies betrifft beispielsweise die Schließung von Moscheen und die Begrenzung der Personenzahl in öffentlichen Verkehrsmitteln. Allerdings konnten viele der Sicherheitsbeschränkungen, die das tägliche Leben betreffen, von der Bevölkerung leider nur begrenzt befolgt werden. Dies liegt auch daran, dass viele Menschen von ihrer Arbeit als Tagelöhner abhängig sind und nicht über ausreichend Rücklagen verfügen, um längerfristige Vorräte anzulegen.
Ohne Frage hat der Ausbruch der Pandemie Auswirkungen auf alle Aktivitäten des Somalischen Roten Halbmonds (SRCS), einschließlich der Heuschreckenbekämpfung. Um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, mussten Beschränkungen eingeführt werden; dies bedeutet, dass Aktivitäten angepasst werden mussten, um soziale Distanzierung und ausreichende Hygienemaßnahmen gewährleisten zu können. Um die Lage der Menschen, denen sie helfen, nicht zu verschlechtern, suchten die SRCS-Mitarbeitenden nach Möglichkeiten, sowohl die Sicherheit der Menschen als auch die Kontinuität der Projekte zu gewährleisten. Ein weiterer Faktor, der zu den Schwierigkeiten bei der Eindämmung des Heuschreckenausbruchs beitrug, ist die Tatsache, dass eine solcher Krise einen massiven koordinativen Aufwand erfordert und nicht von einzelnen Organisationen, auch nicht von einzelnen Regierungen, bekämpft werden kann. Ich erinnere mich, dass zu Beginn der Krise nur sehr wenige Organisationen in der Lage waren, genügend Geld aufzubringen. Groß angelegte frühzeitige Maßnahmen hätten die Auswirkungen des Heuschreckenbefalls reduzieren können, in der Realität ist es jedoch leider oft schwierig, Gelder zu mobilisieren, bevor Notfälle oder Katastrophen tatsächlich eintreten. Mit der Corona-Pandemie beobachten wir ebenfalls, wie die Krise in Somalia leider etwas aus dem internationalen Blickfeld verschwindet und es schwierig ist, Ressourcen zu mobilisieren.
Seit über zehn Jahren leistet der SRCS mit Unterstützung des DRK Hilfe für Familien in Not in Somalia. Der SRCS ist federführend in der Bereitstellung von Hilfe für Menschen, die unter den Folgen der Heuschreckenplage und Covid-19 leiden und führt aktuell ein Bargeldhilfen-Projekt durch, das Tausende von Menschen unterstützt. Für die Heuschreckenbekämpfung bezog der SRCS Gemeinden in Aktivitäten ein, die darauf abzielen, das Wachstum der Heuschreckenschwärme und die damit verbundenen Schäden einzudämmen. Darüber hinaus wurden die Gemeinden darin geschult, Brutstätten zu identifizieren und diese dem Landwirtschaftsministerium, das für die Bekämpfung zuständig ist, zu melden. Und durch die Auszahlung von Bargeldhilfen trägt die Rothalbmondgesellschaft dazu bei, das Leid der Betroffenen zu lindern.
Das Bargeldprojekt des SRCS in Zusammenarbeit mit dem DRK ist aktuell das effektivste Instrument, das uns zur Verfügung steht, um die Gemeinden in der Zeit ihrer größten Not zu unterstützen. Über viele Jahre hinweg hat sich gezeigt, dass Bargeldtransfers eine wirksamere Alternative zu traditionellen Verteilungsformen wie Nahrungsmitteln, Saatgut oder Werkzeugen sind. Bargeldtransfers ermöglichen es den begünstigten Familien, überall dort, wo Zugang zu lokalen Märkten besteht und Bedarfsgüter verfügbar sind, sich schnell und selbstständig das beschaffen zu können, was sie am dringendsten benötigen. Zudem sind die Logistikkosten im Vergleich zum Kauf und Transport von Sachgütern sehr gering. Darüber hinaus stimulieren sie die lokalen Märkte und wahren insbesondere die Würde der Begünstigten. In Somalia haben wir Glück, dass mobile Geldtransfers bereits weit verbreitet und die Menschen daran gewöhnt sind, mobile Kredite für Einkäufe zu verwenden. Wir führen unsere Geldüberweisungen an die Menschen direkt über ihre Mobiltelefone durch, was die Bereitstellung der Hilfe beschleunigt, ein erhöhtes Maß an Transparenz bietet und zudem die Sicherheit der Mitarbeitenden erhöht, da diese sich nicht mit großen Geldsummen durch das Land bewegen müssen.
Leider werden die Menschen in Somalia auch weiterhin auf internationale Hilfe angewiesen sein. Nach Angaben der UN (OCHA) befindet sich Somalia bereits in einer humanitären Krise. Ein Drittel der Bevölkerung war schon vor dem Auftreten der Heuschrecken und Corona auf humanitäre Hilfe angewiesen. Leider können die humanitären Organisationen nicht auf alle aktuellen Bedürfnisse eingehen, was bedeutet, dass der Hunger zunimmt und Lebensgrundlagen bedroht sind. Wir würden uns hier vor Ort sehr wünschen, dass die internationale Gemeinschaft aus staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren sich der Situation noch stärker annimmt und die Krise auch zivilgesellschaftlich mehr in den Fokus rückt. Nur gemeinsam können wir daran arbeiten, dass sich die Situation nicht noch weiter verschlechtert.
Federico Rossi arbeitet seit 2011 in Afrika, wo er insbesondere Projekte zur Ernährungssicherung in konfliktreichen Gebieten betreut. Hierbei kommt ihm sein Abschluss der Agrar- und Umweltwissenschaften oft zugute.
Seit 2018 ist er als Delegierter des Deutschen Roten Kreuzes in Somalia tätig. Er arbeitet eng mit dem DRK-Partner, dem Somalischen Roten Halbmond, zusammen, um die Resilienz von Gemeinden zu stärken und humanitäre Bedarfe zu decken. Im Jahr 2020 betreute er zudem Nothilfemaßnahmen um die Auswirkungen sowohl von Covid-19 als auch der Heuschreckenplage einzudämmen.
Seit 2020 ist er zudem in einem Projekt des DRK im Südsudan engagiert; ein Land, in dem er drei Jahre seiner beruflichen Laufbahn verbrachte.
Mit einem "Matchingfonds Heuschreckenplage" riefen die Deutsche Bank Stiftung und die Deutsche Bank 2020 eine Spendenaktion für Somalia ins Leben. Jeder gespendete Euro wurde durch den mit insgesamt 50.000 Euro ausgestatteten Matchingfonds für DRK-Hilfen verdoppelt. Mit den Geldern aus dem Fonds konnten die Menschen über Bargeldhilfen in Eigenverantwortung ihren Grundbedarf an Nahrung decken.