„Die Helgoland genoss einen fabelhaften Ruf“, resümiert Johannes Haas, einer der Chefärzte. „Als wir von Singapur zurückkehrten, brannten am Ufer des Flusses von Da Nang große Freudenfeuer. “Die Vereinigten Staaten haben von Deutschland militärischen Beistand im Vietnamkrieg gewünscht, doch die Bundesregierung bietet stattdessen eine humanitäre Mission an. Sie lässt das schmucke Seebäderschiff 1966 zum Hospitalschiff umrüsten und entsendet es zunächst nach Saigon. Das Deutsche Rote Kreuz übernimmt die Trägerschaft und stellt auch die Krankenschwestern. Das Schiff verfügt über 150 Krankenbetten, 50 weitere bietet eine mitgeführte Baracke, die als landgestützte Ambulanz eingesetzt wird. Am 14. September läuft die Helgoland in den Saigon-Fluss ein, eskortiert von Kampfhubschraubern und Schnellbooten, die auf jedes Bündel Treibholz feuern, da der Vietcong häufig Minen in schwimmenden Inseln versteckt. Das Schiff selbst wird von den Freischärlern nicht beschossen, wohl aber die es begleitenden Hubschrauber. In prominenter Lage macht es am Quai de Belgique vor dem Hotel Majestic fest. Insgesamt wird es über fünf Jahre hinweg in Vietnam bleiben – eine der größten und längsten Einzelmissionen in der Geschichte des Roten Kreuzes überhaupt.
Das erste Team besteht aus sieben Ärzten, zwanzig Schwestern, acht Pflegern und einigen Mitarbeitern für Technik und Verwaltung, später kommt noch eine Physiotherapeutin hinzu. Sie haben sich für sechs Monate verpflichtet, manche verlängern auf ein Jahr. Fast alle sind jung; voller Tatendrang haben sie sich sehr bewusst für diesen schwierigen Einsatz entschieden. Der Vietnamkrieg bildet eines der beherrschenden Themen in der deutschen Öffentlichkeit. Zwangsläufig gerät nun auch die Helgoland zum Politikum. Obwohl der humanitäre Charakter der Mission außer Frage steht, wird sie doch auch als Schachzug im Kalten Krieg wahrgenommen.
Tatsächlich erweist sich der vermeintliche Luxus eines Schiffes aber im Laufe des Krieges als ein beträchtlicher Vorteil. Wann immer nächtlicher Raketenbeschuss droht – und das ist oft über Wochen hinweg der Fall –, läuft die Helgoland aus und wartet auf Außenreede ab, bis die Lage sich beruhigt. Ein Landkrankenhaus hätte diese Ausweichmöglichkeit nicht.
Chefarzt Otto A. Jäger wertet nach Abwägung des Für und Wider, der Aufwand sei unbedingt „vertretbar durch die übergroße Not der Zivilbevölkerung, zu deren Überwindung wohl jede Hilfsmaßnahme ihre Berechtigung hat“. Unter seiner medizinischen Leitung wird das Schiff ein Jahr später nach Da Nang verlegt, etwa in der Mitte des gespaltenen Landes. Die damals 350.000 Einwohner zählende Stadt ist einer der wichtigsten Stützpunkte der Amerikaner, verfügt jedoch lediglich über 500 Krankenbetten für die Bevölkerung. Mehr noch als in Saigon wirkt die Helgoland hier wie ein Raumschiff aus einer anderen Welt: „Blitzsauber, vollklimatisiert, ausgestattet mit den modernsten Einrichtungen und den besten Medikamenten“, schwärmt Dietrich Blos, der das Schiff als Beauftragter des DRK-Präsidiums mehrfach besucht.
Das Grundprinzip dieses Einsatzes ist, wie stets bei Rotkreuzmissionen, dass allen Bedürftigen unterschiedslos geholfen wird, ohne dass Fragen nach Freund oder Feind, arm oder reich gestellt werden – ein Segen für das von Krieg und Korruption heimgesuchte Land. Alle Dienste sind kostenlos, wobei ausschließlich Zivilisten behandelt werden.
Häufig sehen die Helfer sich mit Verletzungen konfrontiert, die sonst nur Kriegschirurgen zu sehen bekommen. Da ist der Junge, der mit einer Handgranate gespielt hat. Dort das Mädchen, dem ein Querschläger die Leber zerrissen hat, und das wenige Tage nach der Operation schon wieder quietschfidel spielt. Oder die Bewohner eines Dorfes, über dem Napalmbomben niedergegangen sind, und deren Haut, wie Jäger sich erinnert, „zehn Stunden danach noch rauchte wie eine Zigarette im Aschenbecher“. Und da ist die von Splittern durchsiebte hochschwangere Frau, die zehn Tage lang an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen bleibt und dort auch ihr Kind zur Welt bringt. Während sie zwei Tage später stirbt, wird der Säugling als „Mr. Helgoland“ zum Liebling des Personals.