Kulturgüterschutz als Baustein zur Ahndung von Kriegsverbrechen
Interview mit Frau Eleni Chaitidou. Frau Chaitidou ist Rechtsberaterin in der Vorverfahrens- und Hauptverfahrensabteilung des Internationalen Strafgerichtshofs und trägt regelmäßig zur Rechtsprechung des IStGH und völkerstrafrechtlichen Themen vor. Der Beitrag gibt ihre persönliche Meinung wieder. Vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) hat im vergangenen Jahr ein Verfahren wegen der Zerstörung von Kulturgut stattgefunden. Welcher Sachverhalt war Gegenstand des Verfahrens?
Das Verfahren entspringt der Situation in Mali, die dem Internationalen Strafgerichtshof vom Staat Mali überwiesen worden ist. In dem konkreten Fall geht es um Herrn Ahmad Al Faqi Al Mahdi, einen Bewohner Timbuktus, der sich der Touareg-Gruppierung ‘Ansar Dine’ angeschlossen hat, die einem Ableger von Al Qaida, der ‘Al Qaeda in the Islamic Maghreb’ (AQIM), nahesteht. Von April 2012 bis Januar 2013 hat ‘Ansar Dine’ die Kontrolle über Timbuktu und die umliegenden Regionen erlangt; die malische Armee hatte sich zurückgezogen. In diesem Zeitraum hat die Führung der AQIM die Zerstörung und Beschädigung von neun Mausoleen und einer Moschee befehligt, die unter Aufsicht und teilweise persönlicher Beteiligung Al Mahdis, zwischen 30.6. und 11.7. 2012 durchgeführt worden ist.
Können Sie aus Ihrer Perspektive zusammenfassen, was das Verfahren gegen Al Mahdi von den bisherigen Verfahren am IStGH unterscheidet?
Das Verfahren gegen Ahmad Al Faqi Al Mahdi hat mehrere Besonderheiten: Wie im Verfahren gegen Thomas Lubanga Dylio, dem ersten IStGH-Verfahren zu Vorwürfen der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten, wurde die Anklage auf einen einzigen Aspekt des strafrechtlichen Verhaltens beschränkt. Im vorliegenden Fall wurde der Angeklagte nach Artikel 8 Abs. 2(e)(iv) Rom-Statut wegen der Zerstörung und Beschädigung von Gebäuden, die dem Gottesdienst gewidmet sind oder geschichtliche Denkmäler darstellen, angeklagt und verurteilt. Erstmalig wurde damit ein Verfahren vor dem IStGH wegen der Zerstörung oder Beschädigung von Kulturgut geführt. Eine weitere Besonderheit dieses Verfahrens ist, dass der Angeklagte voll geständig war und durch eine umfassende geständige Einlassung zur Beschleunigung des Strafverfahrens beigetragen hat.
Im Norden Malis existiert seit mehreren Jahren ein bewaffneter Konflikt, an dem auch die Rebellengruppe ‘Ansar Dine’ beteiligt ist. Warum ist der Angeklagte als Mitglied der ‘Ansar Dine’ wegen der Zerstörung von Kulturgut angeklagt und verurteilt worden, wenn daneben auch andere Straftaten (und insbesondere solche gegen Leib und Leben von Personen) im Raum standen?
Die Beurteilung, welche Straftatbestände zur Anklage gebracht werden, trifft die Anklagebehörde des IStGH. Eine solche Entscheidung hängt von vielen Faktoren ab, wie zum Beispiel der Beweislage. Im Verfahren gegen Al Mahdi hat die Anklägerin entschieden, dass der Fall mit einem Anklagepunkt den Richtern des Internationalen Strafgerichtshofes vorgetragen wird. Die Prüfung weiterer Straftatbestände innerhalb dieses Sachverhaltes entzieht sich damit vorerst der richterlichen Kontrolle. Die Ermittlungen bezüglich der Geschehnisse in Mali dauern allerdings noch an und es ist nicht ausgeschlossen, dass weitere Verfahren wegen Verbrechen gegen Leib und Leben von Personen eingeleitet werden.
Der Angeklagte ist zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Welche Erwägungen haben zu diesem Strafmaß geführt?
Bei der Entscheidung bezüglich des Strafmaßes sind drei verschiedene Faktoren zu berücksichtigen: Zum einen ist die Schwere des Verbrechens zu beurteilen. Als zweiter Faktor ist das schuldhafte Verhalten des Verurteilten bei der Tat zu berücksichtigen. Als dritter Punkt sind die individuellen Umstände des Verurteilten einzubeziehen. Die IStGH-Richter sind anhand dieser Kriterien, bei denen sowohl strafverschärfende als auch strafmindernde Umstände berücksichtigt wurden, zu dem Endergebnis gekommen, dass eine neunjährige Haftstrafe eine angemessene, der Schuld entsprechende, Strafe ist.
Wer sind die Opfer eines solchen Kriegsverbrechens und welche Bedeutung hat die Zerstörungen von Kulturgütern für die Betroffenen?
Grundsätzlich sind Opfer nach der in der Verfahrensordnung festgelegten Definition alle natürlichen Personen, die einen Schaden als Folge eines in die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs fallenden Verbrechens erlitten haben (Rule 85(a)). Daneben sind als Opfer auch Institutionen und Organisationen anerkannt, die u.a. der Religion Erziehung, Kunst der Wissenschaft gewidmet sind, und die ebenfalls einen Schaden durch ein in die Zuständigkeit des IStGH fallendes Verbrechen erlitten haben (Rule 85(b)). Die zugelassenen Opfer können sich am Verfahren beteiligen, wenn ihre persönlichen Interessen betroffen sind. Anders als bei Verbrechen gegen Personen werden bei der Zerstörung von Kulturgut keine Menschen verletzt. Auch im Verfahren The Prosecutor v. Ahmad Al Faqi Al Mahdi gibt es keine Hinterbliebene, die etwa den Tod eines Familienangehörigen zu beklagen hätten. Nichtsdestotrotz gibt es Opfer, die einen persönlichen materiellen und emotionalen Schaden erlitten haben. Im Verfahren gegen Al Mahdi haben sich daher acht Opfer beteiligt.
Wie wurde dieser Personenkreis ausgewählt?
Der Gerichtshof informiert bei jedem Verfahren die Öffentlichkeit, stellt die Verfahren dar und klärt auf, was die Rechte von Opfern sind. Im Al Mahdi Verfahren sind an den Gerichtshof die Anträge der Opfer eingegangen, die von der Kammer überprüft wurden.
Reparationsansprüche werden vor dem IStGH im Anschluss an das eigentliche Verfahren in einer sog. „reparations phase“ geltend gemacht. An wen werden die Reparationszahlungen im Al Mahdi Verfahren zu leisten sein? Und können diese Zahlungen – z.B. für den Wiederaufbau von Kulturgütern – zweckgebunden sein?
Voraussetzung für den Erhalt von Wiedergutmachung, wie z.B. Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung, ist immer, dass die Opfer in der sog. „reparations phase“ mit einem entsprechenden Antrag an den Gerichtshof herantreten. Nach erfolgreicher Prüfung des Antrags bestehen für das Gericht verschiedene Möglichkeiten, wie Wiedergutmachungsansprüche gestaltet werden. Neben der individuellen Wiedergutmachung besteht auch die Möglichkeit der kollektiven Wiedergutmachung. In letztem Fall würde dem Personenkreis gemeinsam die Wiedergutmachung zukommen. Darüber hinaus können Reparationszahlungen auch an einen - vom Gericht zu bestimmenden - Zweck gebunden sein. Da die „reparations phase“ im Al Mahdi Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, kann im Moment noch nicht gesagt werden, wie die Wiedergutmachung gestaltet sein wird.
Wie bewerten Sie die Chancen bezüglich der Durchsetzbarkeit solcher Wiedergutmachungsansprüche?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist Ahmad Al Faqi Al Mahdi mittellos und seine Verteidigungskosten werden vom Internationalen Strafgerichtshof getragen. Gegen einen mittellosen Schuldigen können keine Wiedergutmachungsansprüche durchgesetzt werden. Bereits in früheren Verfahren hat der IStGH in Fällen der Mittellosigkeit den Umweg über den sogenannten Treuhandfonds zugunsten der Opfer gewählt. Hierbei handelt es sich um einen Fonds, der von der Vertragsstaatenversammlung errichtet wurde und von einem unabhängigen Direktorium geleitet wird. Er finanziert sich aus freiwilligen Zuwendungen. Darüber hinaus kann im Rahmen eines Urteils angeordnet werden, dass Geldstrafen und durch Einziehung erlangte Gelder sowie sonstiges Eigentum an den Treuhandfonds überwiesen werden. Ziel des Fonds ist es, finanzielle Ressourcen zugunsten der Opfer und deren Angehörigen zu haben. Der Weg über den Treuhandfonds entbindet den Verurteilten jedoch nicht von seiner Pflicht, für die Wiedergutmachung aufzukommen. Sollte er zu einem späteren Zeitpunkt über Geldmittel verfügen, muss er dem Treuhandfonds die Kosten zurückerstatten.
Zum Abschluss eine letzte Frage: Wenn Sie darauf angesprochen werden, dass es sich bei Kulturgut „bloß um Steine“ handele und der Internationale Strafgerichtshof sich doch lieber mit Verbrechen gegen Menschen beschäftigen solle, was antworten Sie?
Nur von „Steinen“ zu reden lässt die enorme materielle und spirituelle Bedeutung solcher Kultugüter außer Betracht. Sie bestimmen im besonderen Maße die Identität und das Gedächtnis von Völkern, Gesellschaften und Kulturen. Gerade deshalb sind sie Ziel derjenigen, die Kulturdenkmäler zerstören wollen. Außerdem: die Strafbarkeit der Verbrechen gegen Kulturgüter im bewaffneten Konflikt steht in keinem Exklusivverhältnis zu anderen Verbrechen, sondern sie ergänzen sich viel mehr. Daher sollte dieses Verfahren nicht isoliert betrachtet werden. Durch dieses Verfahren wurde erstmalig vor dem IStGH die Wichtigkeit des Kulturgüterschutzes unterstrichen. Dies hat für mögliche zukünftige Täter, die beabsichtigen Kulturdenkmäler zu zerstören oder zu beschädigen, eine Signalwirkung, dass diese Handlungen auch strafbewehrt sind. Daher hat das Verfahren gegen Al Mahdi seine Berechtigung und trägt zum kollektiven Bewusstsein der Weltöffentlichkeit zur Aufklärung über und der Ahndung von Kriegsverbrechen bei.
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