Bis heute hält sich die ebenso nachvollziehbare wie irrige Vorstellung, beim Archiv des DRK-Generalsekretariats handele es sich um ‚das‘ Archiv des Deutschen Roten Kreuzes. Das war und ist jedoch nicht der Fall.
Die komplexe Organisationsstruktur des DRK ermöglicht es den mit weitreichender rechtlicher Selbstständigkeit versehenen Untergliederungen, ihre Geschichte in eigenen Archiven zu sichern. Inwiefern diese das auch leisten (können), obliegt den Verantwortlichen vor Ort, ihren personellen und ökonomischen Ressourcen und nicht zuletzt auch dem, was man gemeinhin historisches Bewusstsein nennt.
Das Archiv des DRK-Generalsekretariats bildet dagegen aufgabengemäß die Verwaltungsgeschichte des 1921 gegründeten Dachverbandes ab. 1922, vor 100 Jahren, wurde als Arbeitsgrundlage für die Mitarbeiter des Dachverbandes eine als „Archiv und Auskunftsstelle“ benannte Dokumentationsstelle gegründet. Vor dem Hintergrund der Neupositionierung als Wohlfahrtsverband bestand deren Aufgabe vor allem darin, Fachliteratur zu juristischen Fragen und aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege zu führen und auszuwerten.
Im Jahresbericht für das Jahr 1922/1923 werden die Aufgaben der neuen Arbeitsstelle beschrieben als „Aufnahme von Anregungen für die Mitgliedervereine“ und als „Sammlung von wichtigem allgemeinem Material auf dem Gebiete der Sozialhygiene und der Wohlfahrtspflege“, was die Sammlung von Rechtspublikationen und -kommentaren, Adressverzeichnissen und einer umfangreichen Kartothek „sämtlicher behördlichen und freien Reichs- und Provinz-Wohlfahrtsstellen mit Satzungen [und] Jahresberichten“ umfasste. Neben dieser Sammlung von Fachliteratur gehörte die Auswertung der Fachzeitschriften zu den Aufgaben der Dokumentationsstelle. Neben dieser eher dokumentarischen Arbeit bestand die Hauptaufgabe des sogenannten Archivs darin, „allen Rotkreuzmitgliedern für Auskünfte, Verleihung von Material etc. zur Verfügung zu stehen“.
Mit der Einrichtung des Archivs im Dachverband verband sich aber auch die Hoffnung, über die Auskunftsstelle eine stärkere Verbindung zwischen den einzelnen Verbandsgliederungen und dem Dachverband etablieren zu können, „um den Zusammenhalt zwischen der neuen Zentrale in Berlin und den Mitgliedsvereinen in den Ländern zu stärken“. Das gesammelte Wissen sollte gebündelt und wieder allen Verbandsgliederungen zur Verfügung gestellt werden.
Aus fachlicher Sicht beschreibt de facto nur der zweite Teil des offiziellen Namens „Archiv und Auskunftstelle“ den Aufgabenbereich der Einrichtung, denn von einem Archiv als Sammlungsort für Archivgut konnte lange Zeit nicht gesprochen werden. Neben die Sammlung und Auswertung von Fachliteratur trat dagegen bald eine stetig wachsende Marketingabteilung, zeitgemäß Propagandabteilung genannt, die für die Erstellung von werbemäßigem Bildmaterial zuständig war.
Mit der Neugründung des DRK in der Bundesrepublik 1950 blieb das Hauptaugenmerk auf der Beschaffung und Sammlung von Literatur, altes Archivmaterial wurde wieder an einem Ort zusammengeführt, letztlich aber nur gelagert, teilweise neu geordnet und aus alten Zusammenhängen gerissen.
Personelle Beschränkungen schufen bis in die 1980er Jahre Engpässe, die eine professionelle und kontinuierliche Archiv- und Bibliotheksarbeit erschwerten. Die noch in den 1980er Jahren zwiespältigen Aussichten, das Archiv entweder zur Dokumentationsstelle des DRK-Suchdienstes nach München zu verlegen oder es, alternativ, zu einer Art „Zentralarchiv“ des Deutschen Roten Kreuzes aufzuwerten, erwiesen sich mit der Wiedervereinigung als obsolet.
Tatsächlich rückte der der politischen Wiedervereinigung folgende Zusammenschluss von DDR- und bundesdeutschen Landesverbänden und die Aufarbeitung der NS-Geschichte des DRK das Archiv wieder verstärkt ins Bewusstsein des Verbandes. Mitte der 1990er Jahre wurden von einer Archivarin erstmals die gesamten Bestände gesichtet und geordnet, es wurden Archivstrukturen geschaffen und eine Verwaltungssoftware angeschafft, so dass erstmalig ein reguläres Aktenarchiv aufgebaut werden konnte. Erst jetzt gelangten regelmäßig Akten aus den Abteilungen ins Archiv. Der Bestand des DRK der DDR wurde übernommen und bildet eine wertvolle geschlossene Überlieferung.
Nach dem Auslaufen dieser Maßnahme übernahmen sporadisch Projektmitarbeiter, Dienstleister und Praktikanten die anfallenden Archivaufgaben. Seit fast zehn Jahren wird die Archivbetreuung durch professionelle Archvidienstleister verantwortet, die eine in einem Rahmenvertrag festgelegte kontinuierliche und professionelle Arbeit gewährleisten.