Ich bin nunmehr seit Oktober 2022 über das Deutsche Rote Kreuz in einem nicht ganz alltäglichen Auslandseinsatz. Im Rahmen der Ukraine-Hilfe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz ( IKRK) fahre ich große LKWs mit unterschiedlichen Hilfsgütern in die Ukraine.
Zu meiner Vorgeschichte: Seit ein paar Jahren bin ich beim DRK-Kreisverband Prignitz ehrenamtlich als Feldkoch tätig und engagiere mich außerdem bei der Feuerwehr. Ich bin zum DRK gekommen, um Menschen zu helfen, wie nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Danach war ich hauptamtlich als Verwaltungskoordinator in Zülpich für das DRK Nordrhein und bei diversen anderen Einsätzen in Deutschland eingesprungen. Somit stand für mich immer fest, Menschen mit dem DRK auch weltweit zu helfen, falls es nötig wird.
Aufgrund meiner langjährigen Erfahrung als LKW-Fahrer im Europa-Verkehr − einschließlich Osteuropa − kam es zu der Anfrage für diesen Einsatz und ich habe ohne zu zögern „Ja“ gesagt.
Die Herausforderungen bei diesem Einsatz sind sehr vielfältig. Es beginnt schon bei der Planung einer Tour, bei der diverse Hilfsgüter wie Medikamente oder ganze Generatoren, Pumpen, Planen und Weiteres von dem Logistik-Stützpunkt des IKRK in Ungarn in die Ukraine geliefert werden.
Da ist die genaue Dokumentation des Transports bei Fahrtbeginn via Messenger und ab der Grenze in die Ukraine per Telefon, im Austausch mit den ukrainischen Sicherheitsbehörden, und das mehrmals täglich. Für den sachgerechten Transport von Medikamenten muss z.B. die Kühlung gesichert sein. Und auch die Streckenplanung ist nicht einfach.
Und bei Luftalarm ist es natürlich geboten, die nächsten Schutzbunker oder einen geeigneten Keller aufzusuchen. Denn es kann mehrmals täglich passieren, dass wir über Apps oder Messenger gewarnt werden und uns dann in Sicherheit bringen müssen.
Wenn die grobe Planung fertig ist, startet man frühmorgens mit dem LKW in Richtung Ukraine. Es folgt die Abfertigung an der Grenze und dann die Reise ins Ungewisse. Als Fahrer plant man den genauen Ablauf und die Streckenführung sowie Ausweichrouten für den Notfall und die Hotels immer selbst, bei Beachtung aller vorgegebenen Sicherheitsrichtlinien. So eine Tour dauert dann oft um die fünf Tage, hin und zurück.
Manchmal gibt es bei grenzüberschreitenden Transporten auch bürokratische Hürden, z.B. mit den Papieren für bestimmte Güter. Und die Sprachbarriere ist ebenfalls eine Herausforderung, denn viele können kein Englisch und ich kein Ukrainisch oder Russisch.
In so einem Einsatz arbeitet man zusammen mit anderen Fahrern aller Nationalitäten, z.B. aus Ungarn, Kirgistan, Dänemark, dem Jemen, Kenia, Tadschikistan, Pakistan oder Mexiko. Die „Amtssprache“ unter uns ist grundsätzlich Englisch, und das funktioniert mit den Kollegen auch sehr gut. Wir teilen uns dann meistens zu zweit eine Wohnung, was auch reibungslos klappt einschließlich Einkaufen, Kochen usw.
Bewegend ist für mich grundsätzlich jede Fahrt in die Ukraine. Man sieht z.B. in den betroffenen Städten wie Lviv, Kyiv, Rivne, Zhytomyr, oder auch Vinnytsia überall die Zerstörung. Besonders zu Beginn meiner Zeit hier habe ich leider auch sehr viel Trauriges und Schreckliches, wie den Tod gesehen. Auch begegnete ich Menschen, die nichts mehr besaßen und sich auf dem Bürgersteig mit Ziegelsteinen einen Kochplatz gebaut haben und sich dort eine Suppe kochten.
Sie sind sehr dankbar, dass es das Rote Kreuz gibt, und dass wir Hilfsgüter in das Land liefern. Bewegend war für mich auch, dass diese Menschen, die ihr Hab und Gut sowie teilweise ihre Familien verloren haben, mir aus Dankbarkeit ihr frischgebackenes Brot gegeben haben. In diesem Moment war ich zu Tränen gerührt. Ich bin froh, dass es nach den Einsätzen die Möglichkeit gibt, seine Erlebnisse in Gesprächen mit speziell geschulten Kollegen zu verarbeiten.
Mein persönlich einschneidendstes Erlebnis war der 11. Januar 2023. An meinem 50. Geburtstag war ich gerade wieder eine Woche lang mit Hilfsgütern auf Tour. Ich saß abends in einem kleinen Restaurant und hatte mir etwas zu Essen bestellt. Gerade als mein Abendessen gebracht wurde, ging der Luftalarm los und ich hatte dann keinen Appetit mehr. An meinem runden Geburtstag habe ich also sozusagen mein eigenes Feuerwerk bekommen.
Für Einsätze dieser Art sind definitiv der passende Führerschein und Erfahrung als LKW-Fahrer sehr wichtig. Englisch, zumindest Schulenglisch, sollte man auch mitbringen. Voraussetzung sind auch der Wille zu helfen und die Bereitschaft, auch Negatives zu sehen und damit umzugehen.
Es gilt, sich mit den Grundsätzen der jeweiligen Hilfsorganisation zu identifizieren und auch nach den Regeln und Gesetzen des jeweiligen Landes sowie den Genfer Konventionen zu handeln.
Für mich gilt Respekt vor solchen Einsätzen zu haben und dafür zu sorgen, dass die Angst nicht gewinnt. Und schlussendlich möchte ich auch den Menschen, die unsere Hilfe benötigen, den verdienten Respekt zollen und zeigen.
Text und Fotos: Jens Zaydowicz