Untrennbar mit der Rotkreuz-Bewegung verbunden - mein erstes Leben in Syrien und wie ich zum Palästinensischen Roten Halbmond kam - DRK e.V.
· Syrien/Deutschland

Untrennbar mit der Rotkreuz-Bewegung verbunden - mein erstes Leben in Syrien und wie ich zum Palästinensischen Roten Halbmond kam

Gedenkfeier in Damaskus für im syrischen Bürgerkrieg getötete Kollegen des Syrischen Arabischen Roten Halbmonds. Foto: Ibrahim Malla/IFRK

Ende 2013: Ein junger Mann flieht aus Syrien nach Deutschland. Heute arbeitet er beim DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz als Referent für Soziale Hochwasserhilfen, Soziale Hilfen und Förderwesen. Sein ungewöhnliches Leben ist untrennbar mit der Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung verbunden. In zwei Blogbeiträgen hat er uns seine Geschichte aufgeschrieben. Darin berichtet er von seiner Rothalbmond-Arbeit in Syrien, seiner Flucht über das Mittelmeer und schließlich über seine heutige Rotkreuz-Arbeit in Deutschland.

Mein Name ist Faris Shehabi und seit 2020 arbeite ich in Mainz als Referent beim DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz. Meine Familie kommt ursprünglich aus den Palästinensischen Gebieten. Geboren und aufgewachsen bin ich aber in Syrien in einem Lager für geflüchtete Palästinenser namens Jarmuk, südlich von Damaskus. Dort begann meine „Rotkreuzkarriere“, denn mein Vater war beim Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS).

2013 in einem Stadtteil von Damaskus: Gemeinsamer Einsatz der Erste-Hilfe-Teams vom SARC und PRCS, um den belagerten Stadtteil Jarmuk zu evakuieren, wo viele aus den palästinensischen Gebiete Geflüchtete lebten. Insgesamt wurden fast 900 Menschen in Krankenhäuser, zu Verwandten oder in Notunterkünfte gebracht. Foto: Ibrahim Malla / IFRK

Schon mein Vater war beim Roten Halbmond

Mein Zugang zur internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung begann früh, denn mein Vater hatte eine Führungsposition beim Palästinensischen Roten Halbmond (PRCS) in Syrien. Wir bekamen seine Arbeit hautnah mit, Telefonate und Arbeitstreffen fanden oft in unserer Wohnung statt. Selbst zu unkonventionellen Zeiten und an Feiertagen hatte er nie ganz frei. Als Kind bekam ich so Einblick in die Arbeit und die Bedeutung dieser internationalen Bewegung und bin buchstäblich mit den Ideen und Werten des Roten Halbmonds bzw. Roten Kreuzes aufgewachsen. Später wurden erst meine Brüder ehrenamtlich aktiv, dann ich. Mein erster offizieller Einsatz beim PRCS war im Juli 2006 in einer Schule, die als Unterkunft für geflüchtete Menschen aus dem Libanon diente.

Der Palästinensische Rote Halbmond in Syrien und anderen Ländern

In Ländern wie Syrien, dem Irak und dem Libanon leben seit über 70 Jahren Hunderttausende aus Palästina Geflüchtete und ihre Nachkommen, hauptsächlich in Camps. Aus diesem Grund hat der Palästinensische Rote Halbmond (PRCS) in vielen dieser Camps Zweigstellen, die sich hauptsächlich um die Versorgung der dort lebenden Palästinenser kümmern. Es ist wichtig zu verstehen, dass es sich zwar um den PRCS handelt, aber die offiziell anerkannten Nationalen Hilfegesellschaften im Sinne des Genfer Abkommens weiterhin der Syrische Arabische Rote Halbmond (SARC), das Libanesische Rote Kreuz und der Irakische Rote Halbmond sind.

Neue Aufgaben durch den Syrien-Konflikt

Durch den Syrien-Konflikt veränderten sich die Rahmenbedingungen und Aktivitäten deutlich. Vorher konzentrierte sich der PRCS in Syrien hauptsächlich auf Soziales, Erste Hilfe und Sanitätsdienste; der Verband erbrachte vor allem Gesundheits- und medizinische Dienste in Krankenhäusern. Natürlich war er aber auch bei der Hilfe für geflüchtete Menschen aus dem Irak nach 2003 oder aus dem Libanon 2006 in seinen Einzugsgebieten aktiv. Ein System wie den Katastrophenschutz des DRK in Deutschland gab es nicht.

Mit dem Ausbruch des Konflikts sahen wir uns in Jarmuk mit einer Vielzahl von Verletzten konfrontiert, die von dort und aus umliegenden Gebieten ins Palestine-Krankenhaus kamen. Dort unterstützten wir die damals noch verfügbaren Ärztinnen und Ärzte und das medizinische Personal. Auf einmal sah ich Verletzungsmuster, die ich nur aus der Theorie kannte. Und ich lernte, was der Grundsatz „Unparteilichkeit“ in der Praxis bedeutet. Zwar wurden hauptsächlich Zivilisten behandelt, aber auch Personen aller Konfliktparteien, manchmal sogar gleichzeitig. Das hat mir die Bedeutung von „Hilfe nach dem Maß der Not“ deutlich vor Augen geführt.

 

Das Flüchtlingslager Jarmuk liegt südlich von Damaskus und wurde 1957 gegründet, um aus Palästina Geflüchtete aufzunehmen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich Jarmuk zu einem wirtschaftlich und kulturell wichtigen Stadtteil, in dem rund 160.000 Palästinenser und auch etwa eine Million Syrer lebten. Zwischen 2011 und 2012 fanden Tausende Binnengeflüchtete aus dem ganzen Land in Jarmuk Zuflucht, in Häusern, Wohnungen, Schulen und Moscheen, da es dort im Vergleich zu anderen Orten sicherer war. Doch im Dezember 2012 erreichte der bewaffnete Konflikt Jarmuk und zwischen 2013 und 2014 wurde der Stadtteil belagert. Durch die daraus entstandene Hungersnot und den Mangel an medizinischer Versorgung sind über 160 der verbliebenen Personen gestorben.

Improvisieren gegen den Mangel

Die neue Situation nach dem Ausbruch des Konfliktes 2011 machte den Ausbau unserer Angebote im Bereich Erste Hilfe notwendig, wofür ich Ausbilder wurde. Wir passten das Konzept an und lehrten verstärkt den Umgang mit konfliktbezogenen Verletzungsmustern wie schweren Blutungen oder offenen Frakturen. In den Kursen brachten wir den Menschen bei, zu improvisieren und auf Gegenstände aus ihrem Haushalt zurückzugreifen. Wir zeigten den Teilnehmenden, wie sie beispielsweise aus einem Kopftuch oder einem Dreiecktuch ein Tourniquet machen oder eine Leiter als improvisierte Trage verwenden können. Viele Materialien, die in Deutschland leicht zugänglich sind, sind in Syrien (und vielen anderen Ländern des Globalen Südens) entweder nicht verfügbar oder sehr teuer, selbst für die nationalen Rotkreuz- oder Rothalbmondgesellschaften.

Mein Vorbild und Mentor

Mein Dank gilt einer speziellen Person, die mir dieses Wissen vermittelt hat. Ich verbinde den Roten Halbmond und die gesamte Bewegung mit ihm. Als Mitglied des PRCS in Syrien verfügte er über umfangreiche Expertise und Erfahrung im humanitären Bereich und in der Notfallmedizin. Er zeichnete sich besonders durch die großzügige Weitergabe seines umfangreichen Wissens und durch seine gute Vermittlungsfähigkeit aus. Ich spreche von ihm in der Vergangenheitsform, da er leider 2015 auf dem Weg zum Einsatz erschossen wurde. Seine außergewöhnlichen Eigenschaften machen ihn zu einem meiner wenigen Vorbilder im Leben.

Gedenkfeier für im Bürgerkrieg ums Leben gekommene freiwillige Helfer vom Syrischen Arabischen Roten Halbmond im Zahira Center in Damaskus. Kollegen haben mit Kerzen das Rote Kreuz und den Roten Halbmond geformt. Foto: Ibrahim Malla/IFRK

Unvergessen: Die Kollegen, die im Einsatz ihr Leben ließen

Davor und danach wurden zahlreiche weitere Kolleginnen und Kollegen vom PRCS in Syrien und dem Syrischen Arabischen Roten Halbmond im Einsatz getötet. Einige von ihnen kannte ich persönlich. Auch das Palestine-Krankenhaus wurde beschossen und außer Betrieb gesetzt. Diese Menschen wollten nur ihre Arbeit machen und für andere da sein.

Daran denke ich oft, wenn ich die Einsatzjacke des DRK anziehe. Obwohl es sich "cool" anfühlt, sie zu tragen und engagiert zu sein, weiß ich, dass dieses Engagement auch seinen Preis haben könnte. Ich bin derzeit in Mainz in Sicherheit, doch mir ist klar, dass Kolleginnen und Kollegen für ihr Engagement ihr Leben verloren haben, mit nachhaltigen körperlichen Beeinträchtigungen leben oder seit Jahren spurlos verschwunden sind. Es ist daher für mich herzzerreißend, aktuell zu erfahren, dass 26 Mitarbeitende des PRCS ihr Leben in Gaza verloren haben, 17 von ihnen waren im aktiven Dienst, als sie beschossen wurden. Weitere 35 Kollegen wurden verletzt. Von den entführten Kollegen bleiben drei weiterhin gewaltsam entführt. (Stand 20.05.2024). Sie trugen genau die gleiche Weste wie ich damals. Oft werden in den Statements nur Zahlen, Namen und Funktionen von in Konfliktregionen getöteten Kollegen erwähnt. Verborgen bleiben aber die Träume, schönen Momente und menschlichen Werte, für die diese Menschen standen.

Humanitäre Helfer müssen überall geschützt werden

Henri Dunants Ideen umfassten nicht nur die Gründung nationaler Hilfsgesellschaften für den Sanitätsdienst im Krieg, sondern auch den Schutz des medizinischen Personals. Leider bleiben, trotz der rund 160 Jahre seit Verabschiedung des ersten Genfer Abkommens, die humanitären Helfer und ihre Einsatzorte nicht verschont. Ich schließe mich dem Appell zahlreicher Organisationen an, den Schutz des Personals des PRCS und anderer Hilfsorganisationen, aber auch der Zivilbevölkerung in Gaza zu gewährleisten. Sie sind in akuter Gefahr und brauchen unsere Unterstützung.

Mein Leben heute

Seit 2020 arbeite ich als Referent für Soziale Hochwasserhilfen, Soziale Hilfen und Förderwesen hauptberuflich beim DRK-Landesverband Rheinland-Pfalz in Mainz. Zudem engagiere ich mich ehrenamtlich in zwei DRK-Ortsvereinen, der eine am östlichen, der andere am westlichen Rheinufer.

Meinen ersten Studien-Abschluss habe ich in Damaskus in Informatik erworben. In Deutschland und Irland habe ich dann Politikwissenschaften und Soziologie (BA) studiert. Anschließend entschied ich mich für einen Masterstudiengang Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung mit einem Schwerpunkt Humanitäre Hilfe. Demnächst gebe ich meine Abschlussarbeit ab.

Wie mir die Flucht aus Syrien gelang, was das mit Solferino zu tun hat und über unser erfolgreiches Mainzer Obdachlosen-Hilfsprojekt #HinSchauen erzähle ich in der nächsten Folge: Meine Flucht aus Syrien und wie mein Einsatz für das DRK begann.

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