Madagaskar: Von vorausschauender humanitärer Hilfe und dem Leben im Ausland - DRK e.V.
· Antananarivo, Madagaskar

Madagaskar: Von vorausschauender humanitärer Hilfe und dem Leben im Ausland

DRK-Mitarbeiter Enrique Bermejo Dotor über seine Arbeit und das Leben im südostafrikanischen Madagaskar, wo das DRK Menschen schon vor einer drohenden Katastrophe gezielt unterstützt, damit sie sich besser schützen können.

„Tonga Soa“ – willkommen!

Hallo, Tonga Soa (das heißt „Willkommen“ in Madagassisch). Mein Name ist Enrique und ich komme aus Spanien. Derzeit arbeite ich für das Deutsche Rote Kreuz in Antananarivo, der Hauptstadt des südostafrikanischen Inselstaats Madagaskar. Die größte Stadt des Landes ist ein Ort der Kontraste, mit pulsierendem Leben an jeder Ecke, aber oft auch etwas chaotisch aufgrund der ständigen Verkehrsstaus, geschäftigen Straßen und verwinkelten Gassen. Wenn ich Zeit habe, dann versuche ich, auch andere Teile dieser wunderschönen Insel zu erkunden und die Vielfalt Madagaskars zu erleben.

Katastrophenrisiken verringern

Enrique Bermejo Dotor bei der Arbeit für das DRK

In Madagaskar bin ich Leiter des Projektes zur Katastrophenvorsorge und vorausschauenden humanitären Hilfe, das von der Deutsche Bank Stiftung finanziert wird. In diesem Projekt arbeiten wir gemeinsam mit dem Madagassischen Roten Kreuz (CRM) an einem proaktiven Ansatz, um Katastrophenrisiken zu vermindern. 

Durch frühzeitige Warnungen vor Extremwetterereignissen und entsprechende Vorsorgemaßnahmen wollen wir die Auswirkungen von Naturgefahren wie Dürren, Zyklonen und dadurch verursachten Überschwemmungen oder Sturzfluten minimieren. Denn der kleine Inselstaat ist immer häufiger von diesen negativen Auswirkungen des Klimawandels betroffen. Ziel der vorausschauenden Maßnahmen ist es, Leben zu retten und wirtschaftliche Werte zu schützen, indem frühzeitig Interventionen auf Basis von Wettervorhersagen umgesetzt werden. Konkret liegt mein Arbeitsschwerpunkt auf der Entwicklung eines Frühwarnprotokolls für Zyklone, auch „Early Action Protocol“ oder „EAP“ genannt.

Mehr erfahren: Was ist ein EAP?

Das Wissen vor Ort einbeziehen

Unser Ansatz ist partizipativ und gemeinschaftsorientiert, da wir direkt mit den lokalen Gemeinden zusammenarbeiten, die – unterstützt vom CRM – selbst gemeinsam analysieren, wo sie besonders gefährdet sind und wo die Stärken und Kapazitäten der jeweiligen Gemeinde liegen. Vom 9. bis 13. September 2024 fand z.B. in der Stadt Majunga ein relevanter Workshop dazu statt. 

Die Gemeindemitglieder identifizierten in einem Workshop konkrete vorausschauende Maßnahmen, wie z. B. den Schutz von Häusern und Säuberungsaktionen in Kanälen, um Überschwemmungen zu verhindern.

Unsere Kolleginnen und Kollegen der Schwestergesellschaft CRM haben das Expertenwissen, um die Anwohner zu mobilisieren. Diese werden in die Lage versetzt, ihre spezifischen Herausforderungen im Voraus zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen festzulegen, die die negativen Auswirkungen der Zyklone auf ihre Lebensgrundlagen minimieren, konkret heißt das, dass die Schäden im Falle so eines Sturmes gemindert werden können.

Aber nicht nur im Rahmen der vorausschauenden humanitären Hilfe, sondern auch im Rahmen der Katastrophenvorsorge leistet das CRM wesentliche Arbeit innerhalb der Gemeinden, die als vulnerabel gelten, weil sie regelmäßig Naturgefahren ausgesetzt sind. Um diese resilienter zu machen, werden die Anwohnerinnen und Anwohner sensibilisiert und Vorsorgepläne gemeinsam mit dem CRM erstellt. Diese Art von Vorbereitung nennt sich Katastrophenvorsorge und ist eng verknüpft mit der vorrausschauenden humanitären Hilfe.

Wir arbeiten auch eng mit madagassischen Behörden zusammen, darunter das Nationale Büro für Risiko- und Katastrophenmanagement (BNGRC), das das nationale Risikomanagement überwacht, und die DGM (Generaldirektion für Meteorologie, oder Meteo Madagaskar). Kürzlich haben wir ein Kooperationsabkommen mit Meteo Madagaskar formalisiert, um rechtzeitig Wetterinformationen zu erhalten, die unsere proaktiven Bemühungen unterstützen.

Unser Projekt ist Teil einer breiteren technischen Arbeitsgruppe. Gemeinsam mit anderen Organisationen streben wir an, ein System zu schaffen, das nicht nur auf Katastrophen reagiert, sondern sie vorhersieht und es den Gemeinschaften Madagaskars ermöglicht, Resilienz aufzubauen und sich besser vor Katastrophen zu schützen.

Gemeinsam Verantwortung übernehmen

Für mich boten die erweiterten Analysen zu Verwundbarkeiten und Kapazitäten (eVCA) den größten Erkenntnisgewinn in diesem Projekt. Die Gemeindemitglieder stellten ihre Ergebnisse selbst vor: Wo waren sie besonders vulnerabel und wie haben sie sich auf Extremwetterereignisse vorbereitet? Das hat mir wieder deutlich gemacht, dass die Betroffenen selbst in den Mittelpunkt gehören. Sie brauchen zwar manchmal unsere technische Unterstützung und wir können ihnen Werkzeuge an die Hand geben, doch sie übernehmen selbst die Verantwortung dafür, möglichst gut vorbereitet zu sein. Das zu sehen, war für mich immer wieder sehr bereichernd und erfüllend – so stelle ich mir selbstbestimmte humanitäre Hilfe in ihrer besten Form vor.

Die eigene Resilienz nicht vergessen

Besprechung unterwegs: Enrique mit seinen Kolleg*innen

So bereichernd diese Tätigkeit im internationalen und multikulturellen Kontext auch sein kann, 8.000 km von zu Hause entfernt zu arbeiten und zu leben erfordert berufliches Engagement, aber auch persönliche Resilienz. Während meine Arbeit mich mit Sinn erfüllt, will ich nicht verleugnen, dass sie nicht auch physisch und mental herausfordernd ist. In einem Land mit einer so ausgeprägten Kultur zu leben, ehrgeizige Ziele zu verfolgen und die Entfernung zu meinen Liebsten zu spüren, kann manchmal überwältigend sein. Doch der Wunsch, einen Beitrag für die Menschheit zu leisten, beflügelt meinen Einsatz.

Disziplin und das Etablieren gesunder Routinen sind für mich der Schlüssel, um meine Energie und Motivation aufrechtzuerhalten. Jeden Morgen stehe ich früh auf – hier beginnt der Tag vor 5:00 Uhr – und gehe ins Fitnessstudio, um meinen Kopf frei zu bekommen. Später im Büro beginne ich mit der Beantwortung von E-Mails, gefolgt von einem Teammeeting, um den Stand der laufenden Aufgaben zu besprechen und unsere nächsten Schritte zu planen.

Am Ende des Arbeitstags kehre ich in meine Wohnung zurück, wo ich mir Zeit zum Meditieren nehme. Dies ist zu einer wichtigen Praxis für mich geworden, um die Anspannungen des Tages loszulassen und mein Gleichgewicht zu finden.

Derzeit wünsche ich mir, dass das von uns erstellte Frühwarnprotokoll genehmigt wird. Damit hätte ich einen erfolgreichen Abschluss meiner Arbeit hier erreicht. Ich hoffe damit, dem Land Madagaskar all das zurückzugeben, was es mir in Form von Erfahrungen, Lektionen und persönlichem Wachstum gegeben hat. So herausfordernd dieser Weg auch war, er war auch zutiefst bereichernd, und ich freue mich darauf, ihn mit neuer Energie und Entschlossenheit fortzusetzen.

Text: Enrique Bermejo Dotor
Fotos: Malagasy Red Cross

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