Anfangs sah ich den Wiederaufbau durch die „Architektenbrille“: Ich dachte, man würde einfach kommen, planen und bauen. Doch die Realität sah anders aus.
Mein Name ist Wolfgang Friedrich und ich arbeite als Sachgebietsleiter für internationale Katastrophenvorsorge beim DRK-Generalsekretariat in Berlin. Ein für mich sehr prägender Auslandseinsatz begann nach dem verheerenden Tsunami im Indischen Ozean 2004. Damals war ich in Batticaloa an der Ostküste Sri Lankas im Einsatz.
Am 26. Dezember 2004, dem 2. Weihnachtsfeiertag, saß ich mit der Familie vor dem Fernseher, als die ersten Berichte über den Tsunami kamen. Anfangs war von 16 Toten die Rede, doch schnell wurde klar, dass das wahre Ausmaß der Katastrophe unvorstellbar war. Als Architekt wusste ich, dass Fachkräfte wie ich für den Wiederaufbau gebraucht werden würden. Nach einigen Monaten Vorbereitung reiste ich schließlich nach Sri Lanka.
Anfangs sah ich den Wiederaufbau durch die „Architektenbrille“: Ich dachte, man würde einfach kommen, planen und bauen. Doch die Realität sah anders aus. Es ging darum, mit den betroffenen Menschen zusammenzuarbeiten, ihre Bedürfnisse zu verstehen und Lösungen zu entwickeln, die ihrer Lebensrealität entsprachen.
Dies erforderte intensive Absprachen mit allen Beteiligten – von der Regierung, dem Roten Kreuz von Sri Lanka, anderen Partnern vor Ort bis hin zu betroffenen Familien. Für mich war dies eine steile Lernkurve, besonders da ich vorher keine Erfahrung in der internationalen Zusammenarbeit hatte. Zuhören wurde zur wichtigsten Kompetenz.
Wir hatten damals den Luxus, dass wir Zeit dafür hatten. Da konnte man wirklich mit den Menschen gemeinsam Pläne entwickeln, wie das alte Leben wiederhergestellt werden soll. Das war ein Prozess, wo ich auch das Gefühl hatte, dass wir wirklich einen wichtigen Beitrag leisten können und wo wir auch schöne Geschichten über den Tag erlebt haben.
Ganz zentral war der Wunsch der Menschen, zur Normalität zurückzukehren. Ein Beispiel blieb mir besonders im Gedächtnis: In einem Dorf war den Anwohnern das Cricketfeld so wichtig, dass dessen Wiederherstellung Priorität hatte.
Auch persönliche Wünsche - wie die Erhaltung eines trotz Tsunami intakt gebliebenen Gebetsraums einer Familie in einem fast komplett zerstörten Haus - wurden berücksichtigt. Wir entwickelten Ansätze, die individuellen Bedürfnissen gerecht wurden und unterstützten mit Bargeldhilfen, um den Betroffenen größtmögliche Flexibilität zu bieten.
Das war bei so einem großen Projekt, wo wir beispielsweise in mehreren Dörfern 600 Familien betreuten, ein riesiger Aufwand, auch für das Team. In diesem Fall haben wir es geschafft, gemeinsam mit der betroffenen Familie das Haus, um diesen Gebetsraum herum wieder aufzubauen.
Unsere Erfahrungen zeigten, dass eine Mischung aus Bargeldhilfen, Lieferungen von Baumaterial und Beratung der effektivste Ansatz waren. Dabei wurde der Baufortschritt in Etappen überprüft, bevor die nächste Auszahlung erfolgte. Teams aus lokalen Fachkräften und externen Experten begleiteten die Prozesse vor Ort, um Qualität und Fortschritt sicherzustellen.
Das waren Kolleginnen und Kollegen, insbesondere des Roten Kreuzes Sri Lanka, die im besten Fall direkt aus den betroffenen Dörfern kamen, gemischt mit Leuten, die entsprechende Universitätsabschlüsse hatten. Lokale Kolleginnen und Kollegen, Bauingenieure, Architektinnen. Das war dann ungefähr ein Team von 30 Leuten mit allen Profilen.
Gleichzeitig mussten wir sicherstellen, dass besonders vulnerable Familien zusätzliche Unterstützung bekamen. Denn die Betroffenen mussten sich zum Teil auch um die Häuser von Familienangehörigen kümmern, wenn diese das nicht selbst konnten.
Bei anderen Betroffenen ging das fast von selbst. Die haben Zugang zu Handwerkern gehabt, die wussten, wann was einzukaufen ist. Wie lange kann man sagen, wie so etwas im Durchschnitt gedauert hat, so ein Haus wieder aufzubauen? Das war sehr unterschiedlich, manchmal sehr schnell, etwa sechs, acht Monate. Aber zum Teil haben wir Leute bis zu zwei Jahre unterstützt.
In dem Einsatz, wo ja viele Länder betroffen waren, hat man sich ausgetauscht mit Kollegen auf den Philippinen, in Indonesien, hat sich Tipps geholt, also auch jenseits der Rotkreuz-Rothalbmond-Familie. Z.B. die Frage: Wie ist die Verfügbarkeit von Zement? Wo wird der eingekauft und wie wird der ins Projektgebiet gebracht? Wie macht man das am effektivsten und effizientesten? Das sah in Sri Lanka völlig anders aus als in Indonesien.
Zum ersten Mal war ich nach einem halben Jahr wieder in Deutschland und eigentlich dachte ich, der Kulturschock entsteht, wenn man dort ankommt, aber es war genau andersrum. Die Eindrücke aus Sri Lanka waren schwer zu vermitteln und ich stellte fest, dass viele die Dimension und die Herausforderungen so eines Einsatzes nicht nachvollziehen konnten.
Im Jahr 2012 kehrte ich nach Sri Lanka zurück, wir schlossen damals das DRK-Länderbüro. Es war ein bewegender Moment die Fortschritte zu sehen: Dörfer, die sich zu lebendigen Gemeinschaften entwickelt hatten und Menschen, die ihr Leben wieder aufgebaut hatten. Ich fand das super, das war so unaufgeregt. Ich ging durch die Straßen und habe die ein oder andere Person von früher getroffen. Ich traf auch den Mann mit dem Gebetsraum wieder. Wir haben etwas bei ihm auf der Terrasse getrunken.
Und das war einfach toll, als würde man durch ein ganz normales Dorf durchlaufen, was gewachsen ist, wo man eigentlich keine Schäden mehr sah. Da ging das Leben wieder normal weiter.
Die Zeit in Sri Lanka hat mich tief geprägt. Sie hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, die Betroffenen als gleichwertige Partner in den Wiederaufbauprozess einzubeziehen. Wir gehen dort nicht in den Einsatz, weil wir alles besser wissen. Ganz im Gegenteil, wir wissen meistens am allerwenigsten, was dort wichtig und gebraucht ist.
Wir müssen als Teil der Rotkreuz- und Rothalbmond-Familie lernen, wir müssen zuhören und müssen verstehen, wie wir uns einbringen, wie wir eine gute Rolle spielen in dem Prozess. Das ist, was sich durchgesetzt hat, auch wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen von früher rede.
Da braucht man schon etwas Demut, dass wir verstehen, was unsere Rolle in dem ganzen Prozess ist. Der wahre Antrieb und die Umsetzung kommen von den Betroffenen selbst. Diese Erfahrung nehme ich mit, auch in meine heutige Arbeit in der Katastrophenvorsorge.
Text und Fotos (wenn nicht anders angegeben): Wolfgang Friedrich