Bangladesch: Humanitäre Hilfe für Hunderttausende - DRK e.V.
· Cox’s Bazar, Bangladesch

Bangladesch: Humanitäre Hilfe für Hunderttausende

DRK-Generalsekretär Christian Reuter beschreibt in seinem eindringlichen Blogbeitrag die humanitäre Dimension der Hilfe für hunderttausende Geflüchtete in Bangladesch.

Eigentlich ist Cox’s Bazar in Bangladesch ein Touristenmagnet. Mit einem über 100 km langen Sandstrand zieht die Stadt am Indischen Ozean in- und ausländische Besucher an, der Sonnenuntergang soll besonders schön sein. Wir sind natürlich nicht deswegen  nach Cox’s Bazar gereist, sondern wegen der über 650.000 Menschen, die unter unmenschlichen Bedingungen noch immer an der Grenze zu Myanmar ausharren. Wir wollen dazu beitragen, die Lage derer zu verbessern, die dort in den umliegenden Hügeln auf der Flucht Zuflucht gesucht haben.

Christian Reuter (2. v.l.) und Christof Johnen (3. v.l.), Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim DRK, im Gespräch anderen Rotkreuz-Mitarbeitenden vor Ort

Auf unserem Weg von der Unterkunft zum Flüchtlingslager bekommen wir etwas von dem lebendigen und bunten Treiben asiatischer Städte mit. LKWs mit Hilfsgütern und unzählige Lasttaxis bahnen sich hupend einen Weg durch das Verkehrsgewühl, Straßenhändler bieten ihre Waren auf Fahrrädern am Straßenrand an, die Luft ist schon morgens schwül.

Doch wir können bequem im Auto sitzen, während sich die meisten geflohenen Familien aus dem Bundesstaat Rakhine in Myanmar zu Fuß durch unwegsames Gelände und dann mit kleinen Booten über den Grenzfluss nach Bangladesch retten mussten. Ich muss daran denken, dass sie auf der Flucht vor Gewalt ihre Babys oft viele Kilometer in Körben trugen, mit einer Stange über der Schulter. Außer der Kleidung am Leib blieb den Menschen nicht viel, und so fangen sie quasi bei Null an. Die meisten von ihnen sind in der hügeligen Gegend rund um die Stadt in meist sehr einfachen Unterkünften, vorwiegend Zelten, aber auch Zeltplanen und Bambusunterkünften untergebracht, und dahin sind wir unterwegs.

Die Lage und Ausdehnung des Megacamps ist am besten von einem der vielen Hügel bei Cox’s Bazar zu überblicken.

Erste Herausforderung: Akute Nothilfe

Ich habe weltweit schon einige Flüchtlingscamps gesehen, doch der Anblick, der sich mir von einer Anhöhe in Ukhia bietet, ist schier überwältigend und sprengt den Rahmen des Vorstellbaren. Bis an den Horizont, Kilometer für Kilometer, soweit das Auge reicht, erstrecken sich die provisorischen Behausungen. Hügel hinter Hügel hinter Hügel stehen hastig errichtete Zelte aus Plastikplanen und Säcken, Bambus oder was immer zur Verfügung steht.

Diese Camps sind nämlich in Wirklichkeit nur ein einziges zusammenhängendes Camp, das sogenannte Megacamp. Eigentlich ist es auch kein Megacamp, das trifft für mich nicht den wirklichen Kern, sondern es ist eine Stadt, eine Flüchtlingsstadt mit 650.000 Einwohnern, so groß wie z.B. Düsseldorf. Die Menschen sind da, aber die eigentliche Stadt mit aller Infrastruktur eben nicht. 650.000 Menschen im hügeligen Buschland, mitten im Nichts an der Grenze zu Myanmar.

Bangladesch selbst ist dabei eines der ältesten Partnerländer des DRK, seit mehr als 30 Jahren arbeiten wir mit unserer Schwestergesellschaft hier zusammen. Die Leistung des Bangladeschischen Roten Halbmonds, des DRKs und der Schwestergesellschaften ist angesichts der riesigen Not beeindruckend, gut 200.000 Menschen werden derzeit von uns als Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung betreut. Doch beim Besuch im total überfüllten Megacamp merkt man auch, wo überall noch dringender Bedarf ist. Baumaterial für Zelte, Moskitonetze, Decken und andere Hilfsgüter werden weiterhin benötigt. Sie verteilt das DRK hier gemeinsam mit der örtlichen Schwestergesellschaft im Rahmen der Nothilfe, die vor allem durch die Mittel des Auswärtigen Amtes möglich ist.

Die orange Konstruktion links ist ein Waschhaus. Die Leitungen müssen noch installiert werden. Rechts DRK-Mitarbeiter Malte Schümmelfeder.

Zweite Herausforderung: Trinkwasser und Hygiene

Neben genug Nahrung sind sauberes Trinkwasser und Latrinen für Hunderttausende deshalb so wichtig, damit keine Seuchen um sich greifen. Der Ausbruch von Diphtherie und Masern hier im Megacamp Ende des Jahres ist nach wie vor besorgniserregend.

Viel zu wenige Menschen sind geimpft, Masern und Windpocken sind daher lebensbedrohlich. Gerade die Sterblichkeit unter den betroffenen Kindern ist sehr hoch und zeigt mir eindrücklich, dass eine einfache Impfung wirklich Leben retten kann.

Geduldig warten die Menschen aus Rakhine in der Mobilen Gesundheitsstation.

Dritte Herausforderung: Gesundheitsversorgung unter schwierigen Bedingungen

In Balukhali besuchen wir die Mobilen Medizinischen Gesundheitsstationen des Bangladeschischen Roten Halbmondes und des DRK bestehend aus Ärzten, Hebammen, Sanitätern und Freiwilligen. Sie leisten medizinische Soforthilfe für die stark geschwächten und zum Teil verletzten Flüchtlinge.

In der Mobilen Gesundheitsstation können auch Röntgenbilder analysiert werden.

In der Mobilen Gesundheitsstation werden neben Infektionskrankheiten und Knochenbrüchen auch die Folgen von Schusswunden behandelt. Die Folgen der Gewalt, die diese Menschen erfahren mussten, machen uns als Besucher sehr betroffen. Nicht wenige Flüchtlinge, darunter sehr viele Frauen und Kinder, sind so traumatisiert, dass sie sich gar nicht aus dem Megacamp wagen. Daher ist die Hilfe vor Ort durch unsere mobilen Teams auch so wichtig, um wirklich jeden erreichen zu können, zusätzlich zu den vier mobilen Kliniken, die die Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung in Cox’s Bazar betreibt.

Eines erschreckt mich besonders: Die vielen Totgeburten und die Säuglingssterblichkeit in unseren medizinischen Einrichtungen. Trotz bester medizinischer Versorgung durch die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und des Roten Halbmonds kommt unsere Hilfe vielfach zu spät, weil die Mütter unter Infektionen leiden oder von der Flucht völlig entkräftet sind. Dies ist auch für unsere Helfer extrem belastend und verstörend.

Hinten am Hang deutlich zu sehen: Die kleinen roten Gebilde sind die Latrinen. Einige wenige Bäume und Büsche sind noch nicht abgeholzt. Auf der Notunterkunft vorne links erzeugt ein Solarpanel Strom.

Vierte Herausforderung: Umweltschutz

Es ist nicht verwunderlich, dass Umweltschutz hier keine theoretische Frage für die Flüchtlinge ist. Brennholz ist wichtig zum Kochen, zum Überleben, daher wird alles verfeuert, was abholzbar und brennbar ist. Das Ergebnis ist natürlich Erosion des Bodens. Den kommenden Monsun und die zu erwartenden Zyklone werden viele Behausungen und Latrinen, auf den mittlerweile kahlen und abgeholzten Hügeln errichtet, möglicherweise nicht überstehen.

Fazit

Ich bin nach Bangladesch gefahren, um mir selbst ein Bild über die humanitäre Dimension dieser riesigen Flüchtlingsbewegung zu machen. Ich wollte hören, was die Geschichten der Menschen aus Rakhine sind. Zugleich möchte ich aber auch unserem Partner, dem Bangladeschischen Roten Halbmond, den übrigen Rotkreuz- und Rothalbmond-Helfern, und natürlich auch unseren DRK-Helfern für ihren unermüdlichen Einsatz unter schwierigsten Bedingungen danken. Für die Arbeit hier braucht man oft starke Nerven, aber dann wird man von den Menschen belohnt, die alle ihre Hoffnung in uns setzen. Wir wollen und werden sie nicht enttäuschen.

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