Fast 20 Jahre ist es her, da trat Rudolf Seiters als Innenminister zurück. Er übernahm Verantwortung, beispielhaft. Seine größte Zeit aber waren die Monate vor und nach dem Mauerfall 1989.
Berlin (dpa) - Es waren bewegte Zeiten, und Rudolf Seiters erinnert sich gerne. Als Minister im Kanzleramt stand er am 30. September 1989 in Prag auf dem Balkon, als Hans-Dietrich Genscher den Menschen in der deutschen Botschaft die Genehmigung zur Ausreise verkündete. Es folgten der Fall der Mauer und die Verhandlungen zur Wiedervereinigung. Seiters war dabei, im Auftrag von Kanzler Helmut Kohl. Dass er 1993 als Innenminister zurücktrat, gehört auch zu seiner Biografie, aber nicht als dunkler Punkt. Am 13. Oktober wurde Rudolf Seiters, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes, 75 Jahre alt.
Das Ende seiner politischen Karriere war es nicht, damals in Bad Kleinen, aber doch ein großer Einschnitt. Bei einem Einsatz der GSG-9 am 27. Juni 1993 wurden die mutmaßlichen RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams festgenommen. Bei einem Schusswechsel kamen Grams und ein Polizist ums Leben. Einige Zeit hielt sich die Version, der RAF-Mann sei durch einen Beamten quasi hingerichtet worden. Spuren waren verwischt worden. Seiters übernahm die politische Verantwortung und trat wenige Tage nach dem Einsatz zurück. Monate später kam die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass sich Grams selbst getötet hat.
Natürlich hat das auch wehgetan, erinnert sich der Mann mit den weißen Haaren auf dem eckigen Schädel. "Man schaut Fernsehen und sieht das Kabinett - und ich war nicht mehr dabei." Der Rücktritt sei erforderlich gewesen, aber eben auch schmerzlich, "weil ich mir nichts vorzuwerfen hatte". Seiters hat mit seiner schnellen Entscheidung damals die Latte hochgelegt, und viele nach ihm haben sie gerissen, wenn der Rücktritt erst nach wochenlangen quälenden Debatten erfolgte. "Mit erhobenem Zeigefinger" wolle er deshalb aber nicht durch die Welt laufen, sagt Seiters heute.
Zurück zu der Szene auf dem Balkon, Prag 1989: "Das war ein unglaublich emotionaler Moment." Irgendwie typisch, dass sich alle Welt an Genscher erinnert, den damaligen Außenminister, kaum jemand an Seiters, den CDU-Mann aus Osnabrück. Er nimmt das gelassen. Besteht aber doch darauf, in diesen Monaten selbst die Verhandlungen mit der DDR geführt zu haben. Federführend sei das Kanzleramt gewesen, nicht das Auswärtige Amt. Seiters war vielleicht nicht der Architekt, aber doch einer der wichtigen Ingenieure der deutschen Einheit. "Stiller Macher" hat man ihn genannt.
In den Wochen danach ging es um einen Deal mit der DDR. 1,7 Milliarden an Devisen gegen Reisefreiheit für DDR-Bürger. Doch die Dinge entwickelten sich schneller als erwartet. "Auch Kohl war von der Schnelligkeit überrascht." Insgesamt aber habe der CDU-Kanzler die riskante Entwicklung "unglaublich sensibel gesteuert", lobt Seiters. 1990 dann hätten alle die ökonomischen und ökologischen Lasten unterschätzt, die es in der DDR zu bewältigen gab. "Kein Geheimdienst der Welt hat gewusst, wie schlecht es um die Wirtschaft stand", erinnert sich Seiters im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa.
Parlamentarischer Geschäftsführer, später Minister im Kanzleramt und dann Innenminister: Der Jurist Seiters war einer derStrippenzieher der - damals noch ganz und gar Bonner - Republik. Und Kanzler Kohl hatte mit dem kompakten Mann aus Niedersachsen einen zuverlässigen Helfer an der Seite. Nach dem Rücktritt im Sommer 1993 war dennoch die zweite Reihe angesagt. Stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Union 1994 bis 1998, danach vier Jahre Vize-Präsident des Bundestages. Insgesamt 33 Jahre im Parlament.
Zehn Jahre nach dem Rücktritt als Innenminister übernahm Seiters 2003 das Amt des Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes. Hier kommen ihm seine nach wie vor guten Kontakte in die Politik zu Gute. Auslandseinsätze in Bürgerkriegsgebieten, die Beziehungen zum islamischen Roten Halbmond, die Zukunft der Pflege, der Mangel an Kindertagesstätten, - das sind heute seine Themen. Ob er 2013 noch einmal antritt als Präsident des DRK? Rudolf Seiters lässt es offen.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der dpa.